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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sein besorgter Ausdruck verriet deutlich, daß er sich vorzustellen versuchte, wie eine Skorpionsspinne bei diesen Größenverhältnissen aussehen mochte.
    »Mit Traynor? Der hat bloß einen Mordsschreck gekriegt und ist dann aus dem System rausgeflogen.« Cullen verdrehte die Augen. »So geht das immer. Aber dann mußten wir einen neuen Sim für ihn beantragen und genehmigen lassen. Aus dem Grund war Angela nicht grade hocherfreut, euch zu sehen. Der berühmte Herr K. stellt sich damit, was er in seine Simwelt reinläßt und wieder raus, ziemlich kniffärschig an.«
    »Vielen Dank für dieses wunderbar plastische Bild, Cullen«, sagte Lenore.
    »Anschnallen«, versetzte dieser. »Das gilt besonders für euch zwei Rekruten. Die Startfreigabe ist erteilt, und wir sind abflugbereit. Ihr wollt euch bestimmt nicht mehr Taktorenknüffe einhandeln als nötig.«
    Während Renie und !Xabbu ihre Gurte anlegten, glitt das Hangartor auf und gab den Blick auf eine Wand aus schattenhaften Pflanzenformen und einen hellgrauen Himmel frei.
    »Wie spät ist es?« fragte Renie.
    »Da wo ihr seid? Das wißt ihr besser als ich.« Lenore schüttelte den Kopf. »Diese Simwelt läuft nach der MGZ. Hier ist es kurz nach fünf Uhr morgens. Die beste Zeit zur Beobachtung der Eciton ist im Morgengrauen, wenn sie sich in Bewegung setzen.«
    »Wir sind allerdings recht spät dran.« Cullen runzelte die Stirn. »Wenn du pünktlich gewesen wärst, Kwok, wären wir jetzt schon da.«
    »Sei still und flieg los, mein großer Libellenpilot.«
    !Xabbu starrte unbewegt aus dem Fenster, während die berghohen Bäume zu beiden Seiten auftauchten und vorbeihuschten. Selbst Renie war beeindruckt: Es war beängstigend, die Dinge aus dieser Perspektive zu sehen. Die ganzen ökologischen Katastrophen, die ihr die Nachrichtennetze schon ein Leben lang durchs Bewußtsein pumpten, hatten ihr das Gefühl gegeben, die Umwelt sei etwas extrem Empfindliches und Störungsanfälliges, eine immer dünner werdende Hülle aus Pflanzengrün und klarem Wasser. In der wirklichen Welt mochte das so sein, aber wenn man auf ihre jetzige Größe schrumpfte, sah man die Natur in ihrer früheren erschreckenden und herrschaftlichen Pracht. Endlich konnte sie sich vorstellen, daß die Erde in Wahrheit Gaia war, ein einziges großes Lebewesen, und sie selbst ein Teil eines komplizierten Systems und keineswegs die Krone der Schöpfung. Dieses Überlegenheitsgefühl war weitgehend eine Sache der Perspektive, wurde ihr klar, ergab sich schlicht daraus, daß man eines der größeren Tiere war. Bei ihrer gegenwärtigen Größe war jedes Blatt ein Wunder an Komplexität. Unter jedem Stein, auf jedem Erdklümpchen lebten ganze Dörfer von wimmelnden winzigen Wesen, und auf diesen lebten noch winzigere Wesen. Zum erstenmal gewann die Kette des Lebens bis hinunter zu den Molekülen und noch kleineren Einheiten für sie eine Anschaulichkeit.
    Und hat jemand diese mikroskopischen Ebenen hier auch nachgebaut? fragte sie sich. Werden wir wirklich Götter, wie !Xabbu sagte, so daß wir so groß wie ein ganzes Universum werden oder im Innern eines Atoms spazierengehen können?
    Es war schwer, sich nicht von Atasco und Kunohara und den anderen beeindrucken zu lassen, zumindest von denen, die sich ihre Wunderländer nicht wissentlich mit dem Leid anderer Menschen erkauften. Was sie bis jetzt gesehen hatte, war wahrhaft atemberaubend.
    »Verdammt!« Cullen schlug heftig auf das Handrad. »Wir kommen zu spät.«
    Renie beugte sich vor, damit sie an ihm vorbeischauen konnte, aber alles, was sie durch die Windschutzscheibe sah, waren weitere riesige Bäume. »Was ist denn?«
    »Der Zug ist bereits unterwegs«, sagte Lenore. »Siehst du die da?« Sie deutete auf mehrere dunkle Gestalten, die über ihnen durch das Astwerk huschten. »Das sind Ameisenvögel und Spechtdrosseln. Sie folgen dem wandernden Eciton-Schwarm und fressen die davon aufgestöberten Tiere.«
    »Ich muß den Autopiloten einschalten«, sagte Cullen unwirsch. »Es wird ein ziemliches Geruckel geben, aber das ist nicht meine Schuld – ich war pünktlich.«
    »Menschliche Piloten sind nicht schnell genug, um den vielen zuschnappenden Vögeln auszuweichen«, erklärte Lenore. »Nehmt Cullens reizende Manieren nicht allzu persönlich. Vor dem Frühstück ist er immer so, nicht wahr, Cullylein?«
    »Block dich.«
    »Aber schade ist es wirklich«, fuhr sie fort. »Eine der interessantesten Sachen an den Eciton ist die Art, wie sie ihr Lager

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