Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
so sehr für Menschen interessieren. Atasco und seine Freunde von der Gralsbruderschaft sind ein hervorragendes Beispiel. Soviel Geld, soviel Macht, und dabei so eng aufs Menschliche begrenzte Perspektiven.«
Neben ihr war !Xabbu förmlich versteinert. »Die Gralsbruderschaft? Du kennst sie?« fragte Renie und hielt dann kurz inne, bevor sie beschloß, sich weiter vorzuwagen. »Gehörst du auch dazu?«
Er kicherte wieder. »O nein, nein. Das ist nicht mein Bier, wie man so sagt. Und genausowenig Interesse habe ich an der Kehrseite der Medaille, den todernsten Leuten vom Kreis.«
»Der Kreis?« sagte !Xabbu fast kreischend. »Was hat der damit zu tun?«
Kunohara beachtete ihn gar nicht. »Immer diese Dualismen – Mechanisten oder Spiritualisten.« Er streckte beide Hände aus, als wollte er etwas auffangen, das jeden Moment aus der Luft fallen konnte. »Immer entscheiden sie sich für eine Seite, statt sich einfach für die Medaille selbst zu entscheiden. Beide Seiten lehnen die jeweils andere derart kategorisch ab, daß es ihnen eines Tages leid tun wird.« Er klatschte in die Hände und hielt dann !Xabbu eine geschlossene Hand hin. Es war deutlich als Aufforderung gemeint. Der Buschmann zögerte einen Moment, bevor er mit einem dünnen Affenfinger Kunoharas Faust berührte. Sie ging auf, und auf der Handfläche saßen zwei Schmetterlinge, ein schwarzer und ein weißer, aber menschlichen Größenverhältnissen angepaßt, nicht die gigantischen Formen der Simulation. Ihre Flügel flirrten leicht in der Brise.
Renie und !Xabbu waren sehr still und beobachteten Kunohara und seine Schmetterlinge.
»Apropos dualistische Herangehensweise, es gibt zwei Ideen, die euch unter Umständen hilfreich sein könnten«, sagte Kunohara, »sofern euch das irgendwie betrifft, heißt das. Auf der mechanistischen Seite möchte ich euch auf Dollos Gesetz aufmerksam machen, sehr beliebt bei den frühen Theoretikern künstlichen Lebens, wenngleich von den Gralstechnikern sonderbarerweise ignoriert. In der spirituellen Symbolwelt hingegen könnte euch die buddhistische Gestalt Kishimo-jin interessant erscheinen – auch deswegen, weil sie, als Gleichnis begriffen, einen vorsichtigen Optimismus nähren könnte. Allerdings denken Buddhisten zumeist in Zeiträumen, die für den Geschmack von uns anderen ein wenig länglich sind, deshalb werden sie euch persönlich vielleicht kein großer Trost sein.« Er schloß die Hand und öffnete sie gleich wieder. Anstelle der beiden Schmetterlinge saß jetzt ein einzelner grauer da. Kunohara warf ihn in die Luft. Er schlug ein paarmal mit den Flügeln und löste sich dann in nichts auf.
»Was soll das alles?« fragte Renie irritiert. »Diese Rätsel? Wenn du meinst, daß wir etwas wissen sollten, warum kannst du es uns dann nicht einfach mitteilen?«
»O nein, das wahre Lernen geht anders.« Kunohara kicherte abermals los; der Ton ging Renie langsam auf die Nerven. »Jeder Zenmeister, dem das Siegel der Bestätigung zu Recht verliehen wurde, wird euch sagen, daß man als Bittsteller nicht wählerisch sein darf.«
»Wer bist du? Warum redest du überhaupt mit uns?«
Kunohara drehte sich um. Sein Blick war zwar immer noch klar und fest, aber undurchdringlich, als ob die Person hinter dem simulierten Gesicht allmählich das Interesse verlöre. »Warum ich mit euch rede? Nun, mein Interesse umfaßt, um es entomologisch zu formulieren, auch lästige Schmeißfliegen. Und meine Simulation sollte euch sagen, wer ich bin und warum die Konflikte von Göttern mich weitgehend kalt lassen.« Er deutete auf das Ameisengewimmel weiter unten, einen Ozean malmender, krabbelnder Monster. »Apropos Mechanisten übrigens, ich glaube, eure Freunde vom Stock werden die Illusion der Kontrolle bald ein wenig deutlicher begreifen.« Er legte die Hand auf seine weißgewandete Brust. »Was mich betrifft – tja, wie gesagt, meine Simulation müßte eigentlich alles klarmachen. Wie soll ich sagen? … Ich bin nur ein kleiner Mann.«
Im nächsten Augenblick waren Renie und !Xabbu wieder allein auf dem Felsen.
Renie brach als erste das lange Schweigen. »Was sollte das darstellen? Ich meine, was wollte er von uns – ist dir das irgendwie klargeworden?«
»Er sprach vom ›Kreis‹, so als ob dessen Mitglieder in irgendeiner Weise der Gralsbruderschaft glichen.« !Xabbu , die Hände auf seinen flachstirnigen Schädel gepreßt, wirkte völlig fassungslos.
»Na und? Ich hab den Namen noch nie gehört. Was sind das für
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