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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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aus dem Fluß gezogen habt. Ich habe dir bloß nicht widersprochen.«
    Vogelfänger starrte ihn grimmig an, aber tat nichts, weil Pauls Worte ihn verdutzten, aber er sie nicht rundweg verwerfen konnte. Falschheit war anscheinend unter den Menschen nicht gebräuchlich, eine Tatsache, die Paul zu einem anderen Zeitpunkt höchst faszinierend gefunden hätte.
    »Nein«, sagte Vogelfänger schließlich langsam und bedächtig wie ein Richter, der ein Urteil verkündet. Er hatte die Grenze seiner Urteilskraft erreicht und gab auf. »Nein, du kommst aus dem Land der Toten. Ich werde dich töten, und du wirst wieder dorthin zurückkehren.«
    Paul packte mit beiden Händen Vogelfängers Speer und drehte ihn ruckartig, doch der Neandertaler hatte ihn fest zwischen Brust und Arm geklemmt und ließ nicht los. Paul mußte mit aller Kraft dagegenhalten, als Vogelfänger sich vorbeugte, um den Speer tiefer zu treiben. Paul meinte, sein Bauchgewebe unter der steinernen Spitze reißen zu fühlen. Seine Arme zitterten vor Anstrengung.
    »Halt!«
    Ohne sein Gewicht vom Speer zu nehmen, blickte Vogelfänger sich nach der Stimme um. Läuft-weit schritt eilig auf sie zu, die Hände ausgestreckt, als wäre Vogelfängers Zorn ein lebendiges Wesen, das plötzlich angreifen könnte. »Halt«, sagte er noch einmal. »Was machst du da?«
    »Er ist aus dem Land der Toten gekommen«, erklärte Vogelfänger. »Er will sich meinen Jungen holen.«
    »Deinen Jungen?« Paul schüttelte den Kopf. »Ich weiß überhaupt nichts von einem Jungen.«
    Andere vom Menschenstamm waren wach geworden und kamen an, eine Horde lumpiger Schatten, die im schwachen Schein der Glut kaum menschlich wirkten.
    »Er ist ein Geist«, sagte Vogelfänger trotzig. »Er ist aus dem Fluß gekommen, um meinen Jungen mitzunehmen.«
    Paul hatte das sichere Gefühl, Läuft-weit werde jetzt einen weisen Häuptlingsspruch von sich geben, doch statt dessen knurrte dieser nur und trat in die Dunkelheit zurück.
    Das läuft alles verkehrt, dachte Paul verzweifelt. Wenn das hier eine Geschichte wäre, hätte ich ihm das Leben gerettet oder so, und er müßte mir helfen. Er schob wieder an dem Speer, aber er konnte sich nicht abstützen. Eine ganze Weile drückten er und Vogelfänger stumm gegeneinander an, ohne daß einer nachgab, aber Paul wußte, daß er die scharfe Spitze nicht mehr viel länger von sich abhalten konnte.
    »Laß mich den Jungen sehen«, bat er. Seine Stimme klang dünn, weil er nicht tief Luft holen konnte. »Ich will ihm helfen, wenn ich kann.«
    »Nein.« Der Grimm in der Stimme des anderen war mit Furcht vermischt, aber er wich keinen Millimeter.
    »Warum will Vogelfänger in unserem Hause Blut vergießen?«
    Die zittrige Stimme von Dunkler Mond traf sie wie ein kalter Wasserguß. Als Läuft-weit aufgetaucht war, hatte Vogelfänger überhaupt nicht reagiert, doch jetzt zog er die Speerspitze von Pauls Bauch weg und trat einen Schritt zurück. Auf Läuft-weits Arm gestützt schlurfte die alte Frau auf sie zu. Sie war augenscheinlich eben erst aufgewacht; wie Rauchfähnchen standen ihr die dünnen Haarbüschel wirr vom Kopf ab.
    »Bitte«, sagte Paul zu ihr, »ich bin kein Geist. Ich will den Menschen nichts Böses tun. Wenn ihr wollt, daß ich weggehe, gehe ich weg.« Doch noch während er das aussprach, dachte er an die eisige Dunkelheit draußen, bevölkert von Ungeheuern aus halb vergessenen Büchern, von denen er nur eine vage Vorstellung hatte. Säbelzahntiger? Hielten sich solche Scheusale nicht oft in der Nähe der Höhlenbewohner auf? Aber was war die Alternative – ein Kampf auf Leben und Tod mit einem Steinzeitwilden?
    Ich bin nicht Tarzan! Hilflose Wut kochte in ihm auf. Was soll das alles? Ich arbeite in einem Museum, Himmelherrgott nochmal!
    »Du sagst, du wirst dem Kind helfen.« Dunkler Monds Gesicht lag fast ganz im Schatten, als sie sich mit weiten Augen über ihn beugte.
    »Nein.« Paul unterdrückte die Verzweiflung und Erbitterung. »Nein, ich sagte, ich helfe ihm, wenn ich kann.« Immer noch ganz außer Atem hielt er inne. Sich mit diesen Leuten zu verständigen, war zum Verrücktwerden, trotz der gemeinsamen Sprache.
    Dunkler Mond streckte die Hand nach Vogelfänger aus, der zurückscheute, als fürchtete er, sich zu verbrennen. Sie schlurfte etwas näher und langte abermals nach ihm. Diesmal ließ er sie, und sie umschloß mit ihren vogelähnlichen Krallen seinen Arm.
    »Er wird zu dem Kind gehen«, sagte sie.
    »Nein.« Vogelfänger

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