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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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flüsterte fast, als redete er unter großen Schmerzen. »Er wird mir meinen Jungen wegnehmen.«
    »Wenn die Toten dein Kind rufen, rufen sie es«, sagte Dunkler Mond. »Wenn nicht, dann nicht. Du kannst den Tod nicht mit einem Speer abwehren. Nicht diese Art von Tod.«
    Vogelfänger warf einen schnellen Blick auf Paul, wie um sie zu erinnern, daß er genau das soeben getan hatte, aber ihre Hand faßte seinen Arm fester, und er ließ den Kopf hängen wie ein trotziger Halbwüchsiger.
    Dunkler Mond wandte sich an Paul. »Komm mit zu dem Kind, Flußgeist.«
    Keiner vom Stamm machte Anstalten, ihm aufzuhelfen, und so rappelte Paul sich alleine auf. Die Stelle, wo Vogelfänger ihn gestochen hatte, pochte schmerzhaft, und wenn er die Hand darauf legte, bekam er feuchte Finger. Die alte Frau und Läuft-weit drehten sich um und schritten langsam quer durch die Höhle. Paul schloß sich ihnen mit einem gewissen inneren Widerstreben an, das noch zunahm, als Vogelfänger ihm folgte und ihm mit der Speerspitze leicht, aber vielsagend in den Rücken tippte.
    Ich muß hier weg, dachte er. Das sind nicht meine Leute, und egal wo ich bin, das ist nicht meine Welt. Ich verstehe die Regeln nicht.
    Sie führten ihn zu einem der letzten Zelte in der Reihe, das so weit vom Hauptfeuer entfernt stand, daß ein eigenes kleines Feuer in einem Steinkreis davor brannte. Paul konnte sich Vogelfänger vorstellen, wie er brütend vor den Flammen hockte und seinen ganzen Mut zusammennahm. Wenn ein krankes Kind die Ursache seines Grolls war, konnte man dem Mann nur schwer böse sein.
    Ein kurzer Stich in den Rücken, als er am Zelteingang zögerte, stellte seine vorherige Abneigung rasch wieder her.
    Vogelfängers Zelt war kleiner als einige der anderen; Paul mußte sich bücken, um durch die Klappe zu kommen. Drei Kinder warteten im Zelt, aber nur zwei blickten bei seinem Eintreten auf, ein in Felle gewickelter glupschäugiger Säugling und das kleine Mädchen, das er schon vorher gesehen hatte. Mit offenen Mündern waren beide vollkommen erstarrt, wie erschrockene Eichhörnchen. Zwischen ihnen lag in Felle gemummelt, so daß nur sein Kopf herausschaute, ein kleiner Junge, offenbar gepflegt von dem älteren Mädchen. Seine dunklen Haare klebten ihm auf der Stirn, und seine Augen waren nach hinten unter die zitternden Lider gerutscht, so daß der durch die Zeltklappe fallende Feuerschein zwei leicht pulsierende weiße Schlitze erhellte.
    Paul kniete sich neben den Jungen und legte ihm behutsam die Hand auf die Stirn. Er ignorierte Vogelfängers wütendes Murren und ließ die Hand liegen, als das Kind schwach den Kopf wegzudrehen versuchte; das Fleisch kam ihm so heiß wie einer der Steine vor, auf denen die Menschen ihr Essen brieten. Als der Junge, der neun oder zehn Jahre alt zu sein schien, eine kraftlose Hand hob und damit gegen Pauls Handgelenk drückte, ließ er von ihm ab und setzte sich auf.
    Er betrachtete das kleine, blasse Gesicht. Auch in dieser Hinsicht war dieser ganze verrückte Traum auf niederschmetternde Weise anders als eine gute altmodische Abenteuergeschichte. In Science-fiction-Filmen kennt sich einer der Besucher aus der Zukunft immer mit moderner Medizin aus und kann aus Palmwedeln einen behelfsmäßigen Defibrillator zusammenschustern oder rasch irgendwo eine Dosis Penizillin herzaubern, um den schwerkranken Häuptling zu retten. Paul wußte weniger darüber, wie man ein Kind ärztlich behandelt, als seine Mutter und seine Großmutter, die wenigstens noch die schwindende Überlieferung der Frauenheilkunst mitbekommen hatten. Penizillin? Wuchs das nicht irgendwie auf schimmeligem Brot? Und wer konnte wissen, ob das Kind überhaupt eine Infektion hatte und nicht etwas, das viel schwerer zu kurieren war, ein Herzgeräusch vielleicht oder eine Nierenschwäche?
    Paul schüttelte ratlos den Kopf. Der reine Blödsinn, das Kind überhaupt sehen zu wollen, auch wenn er bezweifelte, daß er im Vater des Jungen falsche Hoffnungen geweckt hatte. Er fühlte Vogelfängers Atem in seinem Nacken, spürte die Anspannung des Mannes in der Luft wie ein drohendes Gewitter, das jeden Augenblick losbrechen konnte.
    »Ich glaube nicht …«, hob Paul an, als das kranke Kind plötzlich zu sprechen anfing.
    Es war zuerst wenig mehr als ein Flüstern, ein kaum hörbares Schaben des Atems über die trockenen Lippen. Paul beugte sich hinab. Der Junge zuckte und warf den Kopf zurück, als wollte er eine unsichtbare Macht abschütteln, die seinen Hals

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