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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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in der Jägergrube glich, ließ der Gegner ihn los, robbte davon und schlug dabei auf die Stellen ein, wo er Feuer gefangen hatte. Aber das bloße Überleben war Paul mittlerweile egal: Er sprang über die Feuerstelle und riß seinen Feind zu Boden, ohne sich darum zu kümmern, daß die Flammen auch seine Haut versengten. Einen kurzen Moment lang sah er Vogelfängers entsetztes Gesicht unter sich. Er hatte etwas Rundes und Schweres und Heißes in der Hand – einen Stein aus der Feuergrube, erkannte ein Teil von ihm, ein kalter, erbarmungsloser Teil. Er hob ihn hoch, um damit Vogelfänger und alles andere zurück in die Finsternis zu schmettern, doch statt dessen bekam er selbst einen jähen und überraschenden Schlag auf den Hinterkopf, ein Schock wie von einem nicht geerdeten Stromkabel durchfuhr ihn und beförderte ihn ins Nichts.
     
     
    > Die Stimmen schienen zu streiten. Es waren leise Stimmen, weit entfernt, und sie kamen ihm nicht sonderlich wichtig vor.
    Waren es seine Mutter und sein Vater? Sie stritten nicht viel – gewöhnlich behandelte der ältere Jonas Pauls Mutter mit einer an Verachtung grenzenden Nachgiebigkeit, als ob sie ein schlecht gearbeiteter Gegenstand wäre, der selbst normale Beanspruchung nicht vertrug. Doch ab und zu verflog das wohlwollend unbeteiligte Gebaren seines Vaters, meistens wenn jemand von außerhalb sich gegen eine seiner Ideen ausgesprochen hatte, und dann kam es zu einem kurzen erregten Wortwechsel, dem stundenlanges Schweigen folgte – ein Schweigen, das Paul als Junge immer das Gefühl gegeben hatte, alle im Haus warteten gespannt darauf, daß er ein Geräusch machte und damit irgend etwas verdarb.
    In den sehr seltenen Fällen, in denen seine Mutter sich aufraffte und Widerspruch anmeldete, wenn auch weiterhin in ihrer unsicheren, entschuldigenden Art, dauerte zwar der lautstarke Wortwechsel nicht länger, aber das Schweigen konnte einen Tag oder mehr anhalten. An diesen langen, schrecklichen Tagen wollte Paul nicht einmal in das Schweigen hinausgehen, sondern blieb auf seinem Zimmer, wo er Karten von fernen Ländern auf seinem Bildschirm aufrief und Fluchtpläne schmiedete. In den endlosen Stunden eines geräuschlosen Nachmittags stellte er sich manchmal vor, das Haus sei eine Schneekugel und außerhalb seines Zimmers füllten sich die Flure langsam mit still vor sich hin rieselnden weißen Flocken.
    Die Stimmen stritten weiter, immer noch fern, immer noch unwichtig, aber ohne darauf zu achten, hatte er bemerkt, daß es zwei Männer waren. Wenn der eine sein Vater war, dann war der andere vielleicht Onkel Lester, der Bruder seiner Mutter, ein Mann, der irgendwie Banken dabei behilflich war, Auslandskontakte zu knüpfen. Er und sein Vater vertraten notorisch unterschiedliche politische Standpunkte – Onkel Lester war der Meinung, wer Labour wähle, habe keinen blassen Dunst davon, wie es wirklich auf der Welt zuging – und stritten manchmal in halb freundschaftlicher Art stundenlang miteinander, während Pauls Mutter nickte und gelegentlich lächelte oder eine scherzhaft mißbilligende Miene aufsetzte, um den Anschein zu erwecken, sie interessiere sich für ihre übertriebenen Behauptungen, und während Paul selbst in der Ecke im Schneidersitz auf dem Boden hockte und sich einen der kostbaren Bildbände seiner Mutter ansah, altmodische Bücher aus Papier, die sie wiederum von ihrem Vater geerbt hatte.
    Besonders ein Bild hatte Paul immer gefallen, und wo er jetzt seinen Vater und Onkel Lester streiten hörte, sah er es wieder vor sich. Es war von Brueghel dem Älteren, oder wenigstens kam es ihm so vor – aus irgendeinem Grund hatte er im Moment Mühe, auf Namen zu kommen –, und stellte eine Gruppe von Jägern dar, die einen verschneiten Hang hinunterstapften und auf dem Heimweg zu dem regen Treiben unten im Dorf waren. Das Gemälde hatte ihn in einer Art berührt, die er nicht recht beschreiben konnte, und in seiner Studienzeit hatte er es als Hintergrundbild auf seinem Wandbildschirm benutzt; wenn sein Zimmergenosse nach Hause zu seiner Familie gefahren war, ließ Paul das Bild die ganze Nacht über an, so daß der weiße Schnee und die bunten Schals das letzte waren, was er vor dem Einschlafen sah. Er wußte nicht, weshalb es ihm so lieb geworden war, nur daß die gesellige Atmosphäre, das gemeinschaftliche. Leben der Dörfler auf dem Bild ihn bewegt hatte. Wahrscheinlich weil er ein Einzelkind war, hatte er immer angenommen.
    Bei dem Gedanken an das Bild

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