Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
aufmachen, wo die jungen Liebenden herkamen. Renie blickte die beiden an, farblos wie Höhlentiere, aber so vollkommen miteinander und den gemeinsamen Plänen beschäftigt, daß diese Begegnung mit der Schar von Fremden für sie nicht mehr als eine kleine Episode in ihrer Liebesgeschichte war.
»Wenn wir diesen Bibliotheksmarkt finden«, erkundigte sich Florimel bei Zekiel, »können wir dann dort Fragen stellen? Wird niemand uns merkwürdig finden?«
Er sah sie an und richtete dann seinen Blick auf T4b und !Xabbu . Sein langes Gesicht legte sich in Lachfalten. »Man wird euch nicht übersehen, das ist sicher. Vielleicht solltet ihr euch in einem der großen leeren Zimmer etwas zum Anziehen suchen – Sammler machen an solchen alten Stätten oft reiche Ausbeute, und ich glaube, die hier sind noch nicht durchstöbert worden.«
Es überstieg Renies Fassungsvermögen, wie Leute es schafften, ihr Leben lang in einem einzigen Haus zu leben, und sei es noch so groß, und dennoch einen ganzen Flügel generationenlang nicht aufzusuchen, aber die Hintergründe der Simwelt interessierten sie im Augenblick weniger als die sehr reale Möglichkeit, daß sie den Spion ausfindig machten.
Zekiel und Sidri standen noch einen Moment lang verlegen am Rand der möblierten Insel, auf dem Sprung, ihren Weg fortzusetzen. »Lebt wohl«, sagte der blasse junge Mann schließlich. »Und habt Dank.«
»Den haben wir nicht verdient«, erwiderte Martine. »Vielmehr habt ihr uns geholfen und uns viele nützliche Dinge erzählt.«
Er winkte ab. »Es war nett, eine Zeitlang unter Menschen zu sein und freundliche Stimmen zu hören. Ich glaube kaum, daß uns ein solches Glück so schnell wieder begegnen wird.« Während er das sagte, ergriff Sidri seine Hand und drückte sie fest, wie man es vielleicht macht, wenn einen beim Anblick eines Leichenzuges ein unheimliches Gefühl beschleicht. Hand in Hand drehten sie sich um und machten sich auf den Weg.
Aber eine Frage ließ Renie keine Ruhe. »Wo liegt dieses Haus eigentlich?« rief sie ihnen hinterher.
Zekiel stutzte. »Ich war nur ein Messerschmied«, sagte er. »Diese Frage stellt ihr besser den Bibliotheksbrüdern, die den Lauf des Universums verstehen.«
Renie stieß scharf die Luft aus. »Nein, wo liegt es? Wo in der Welt?«
Jetzt schaute auch Sidri sie verwundert an, so als ob Renie plötzlich angefangen hätte, sie in Differentialrechnung zu prüfen. »Wir verstehen deine Fragen nicht«, sagte das Mädchen schüchtern.
»Wo … Ich will’s mal anders ausdrücken: Wenn ihr ans Ende des Hauses kommt, was ist da? Was seht ihr?«
Zekiel zuckte mit den Achseln. »Den Himmel, nehme ich an. Die Sterne.«
Sie winkten und setzten sich wieder in Bewegung und überließen es Renie, darüber nachzugrübeln, wo sie aneinander vorbeigeredet hatten.
Zwei Stockwerke tiefer fanden sie Kleidungsstücke in einem Zimmer, in dem offensichtlich seit längerer Zeit niemand mehr gewesen war, da selbst die Spinnweben leer und verstaubt waren. Truhen über Truhen türmten sich zu einsturzgefährdeten Stapeln auf, die dennoch die ganzen Jahre über stehengeblieben waren. Renies Schar versuchte aufzupassen, doch schon die ersten näheren Untersuchungen brachten einen solchen Turm ins Wanken, woraufhin der ganze Aufbau mit einem unwahrscheinlichen Getöse umfiel.
»So«, sagte Renie. »Jetzt weiß im Umkreis von Meilen jeder, daß jemand hier drin ist.«
Florimel zog eine schwere Decke aus den Trümmern einer aufgesprungenen Truhe und schlug sie auseinander. Ein unleserliches Monogramm durchwirkt mit dem stilisierten Bild einer Laterne kam zum Vorschein. »Nach dem, was der junge Mann uns erzählt hat, wird es niemanden sehr verwundern, wenn hier jemand etwas mitgehen läßt.« Sie knüllte die Decke zusammen und legte sie beiseite.
Renie fand einen Stoß Mieder in einer der anderen Kisten und holte ein Korsett hervor, das von Fischbeinstäbchen nur so strotzte. »Ich kenne Clubs auf der Golden Mile bei uns daheim, wo du darin der Star des Abends wärst, Florimel. In ’ner ganzen Menge Clubs wäre auch T4b ziemlich umschwärmt, wenn er sowas anhätte.« Sie entdeckte einen langen blauen Rock mit einem goldenen Blattmuster, hielt ihn an und tat ein paar Schritte, um zu sehen, wie er im Gehen fiel, dann runzelte sie die Stirn. »Das hat zu sehr was von Maskerade«, sagte sie. »Aber wir wollen uns nicht bloß unauffällig unters Volk mischen, wir wollen einen Mörder fangen, oder eine Mörderin, wer
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