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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Zivilisationsgeruch, den sie ebenso erfreulich wie beunruhigend fand – erfreulich, weil er bestätigte, daß sie allmählich in die Nähe von Menschen kamen, beunruhigend, weil ihr klar wurde, wie fein auf einmal ihr Geruchssinn war.
    Am Anfang hier im Netzwerk, als ich meine Maske noch gefühlt habe, konnten wir kaum etwas riechen. Erst neulich hab ich davon erzählt, wie !Xabbu darüber geklagt hat.
    Sie befragte ihn. Nachdenklich trottete er weiter auf allen vieren neben ihr her. »Ja, das stimmt«, sagte er schließlich. »Es war sehr unangenehm, aber seit einiger Zeit geht es mir nicht mehr so. Eigentlich kommt es mir so vor, als würde ich jetzt sehr viel über die Nase wahrnehmen.« Er legte seine schmale Stirn in Falten. »Aber vielleicht ist das eine Illusion. Habe ich in meiner Studienzeit an der TH nicht gelesen, daß das Gehirn nach einer längeren Zeit in einer virtuellen Umgebung anfängt, sich selbst Informationen zu konstruieren, die ihm ein stärkeres Normalitätsgefühl geben?«
    »Du warst ein guter Student«, sagte Renie schmunzelnd. »Aber damit läßt sich das schwerlich erklären.« Sie zuckte mit den Achseln. »Andererseits, was wissen wir schon? So eine Umgebung wie diese hat es nie zuvor gegeben. Dennoch sollten wir mittlerweile einen besseren Durchblick haben, wie sie funktioniert – wie es zugeht, daß wir online festgehalten werden und daß Dinge wie Neurokanülen und sogar sowas Handfestes wie Gesichtsmasken vor uns verborgen werden können.« Sie grübelte stirnrunzelnd darüber nach. »Das ist im Grunde das seltsamste an dieser virtuellen Welt. Sie kann dem Gehirn über einen direkten Nervenanschluß die Information einspeisen, daß es keine solche Verbindung gibt, keinen Shunt. Das leuchtet ein. Aber wir beide haben eine andere, elementarere Zugangsform, die unsere Sinne nicht umgeht, sondern auf sie einwirkt. Wie können wir dann getäuscht werden?«
    Sie wußten immer noch keine Antwort auf die Frage, als sie alle nach einem weiteren langen Treppenabstieg eine letzte Kurve umrundeten und feststellten, daß sie endlich den Fluß erreicht hatten. Das Wasser, das ihnen die letzten drei Stockwerke über immer lauter in den Ohren gerauscht hatte, floß durch eine gut dreißig Meter breite bemooste Steinrinne auf gleicher Höhe wie der Fußboden an ihnen vorbei, als ob ein alter römischer Aquädukt im Fundament versenkt worden wäre. Eine Laterne, die erste nicht von ihnen entzündete Lichtquelle, an die sie kamen, hing an einem kleinen Pier, der am Fuß der Treppe vom Flur abging. Das Wasser war in dem schwachen Licht kaum zu erkennen und strömte nach rechts, wo es im düsteren Schatten verschwand.
    »Flußaufwärts also«, erklärte Renie. »Wenn die übrigen Angaben der beiden ebenfalls stimmen, dürften wir nur noch eine knappe Stunde Weg bis zu dem Teil des Hauses haben, wo wir auf Menschen treffen werden.« Sie hielt an, als ihr die Widersinnigkeit der Sache aufging. »Lieber Himmel, wie groß ist dieses Ding eigentlich?«
    Die an den Flur grenzenden Zimmerfronten waren stilistisch vielgestaltiger als die Räume, die sie oben gesehen hatten; offenbar war in den am Fluß liegenden Teilen des Gebäudes mehr Wert auf Abwechslung gelegt worden. Wie weiter oben gingen Türen vom Korridor ab, und auf der halbdunklen Promenade am anderen Flußufer waren ebenfalls welche zu erkennen, aber es gab auch Stellen, wo die Wände herausgebrochen worden waren, vielleicht um freie Sicht zu schaffen, oder wo großzügige Anbauten vorsprangen und über die Wasseroberfläche ragten, so daß der abgeblockte Gehweg über einen Steg umgeleitet wurde, der nur wenige Meter über dem gurgelnden Fluß hing.
    Als sie gerade ein solches Hindernis umgingen und durch die zum Fluß gewandten Fenster in das leere Innere eines Zimmers blickten, glitt nahe dem anderen Ufer ein Boot mit einer am Bug baumelnden Laterne vorbei. Renie fuhr erschrocken herum, aber die beiden Gestalten, die in dem kleinen Nachen kauerten, winkten nur und paddelten weiter. Kurz darauf war das Boot in der Dunkelheit entschwunden.
    Immer häufiger tauchten jetzt Zeichen menschlichen Lebens auf, und an manchen Stellen konnten sie sogar die Lichter von Feuern und Laternen am anderen Flußufer brennen sehen. Weitere bemannte Fischerboote erschienen; einige trieben einfach vorbei, aber andere bewegten sich zielgerichtet von einer Seite des Flusses zur anderen, als suchten sie nach etwas. In einigen der oberen Wohnungen hörte Renie Musik und

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