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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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aufgeschlagen wie ein Ausstellungsstück. In wunderschön gemalten Buchstaben, die in der Fülle von Illuminationen um die Initialen und an den Rändern schier untergingen, stand da geschrieben: »… besondere Acht sollte man darauf verwenden, daß man die Leber beim Säubern nicht zersteche, will man den Geschmack des Vogels nicht verderben. Zur Verfeinerung mag man Zankwurz und herbstliche Pfaffenknöpfchen dazugeben, aber keinesfalls darf man ihn überwürzen …«
    »Es ist ein Rezept«, sagte Renie. Die Marktbesucher wogten an ihnen vorbei, und nur ein niedriger, direkt im Teppich und dem Boden darunter verankerter Holzzaun verhinderte, daß die heiligen Reliquien umgerempelt wurden. Keiner der feilschenden und tratschenden Leute schien darauf erpicht zu sein, über die Absperrung zu springen und das heilige Kochbuch an sich zu reißen.
    »Vielleicht, vielleicht!« Ihr Führer war aufgekratzt. »Es gibt soviel, was wir noch nicht ergründet haben. Jetzt, wo wir das Alphabet des Solariumvolkes entschlüsselt haben, kommen bestimmt noch zwei oder sogar drei Bände hinzu, die ihre Geheimnisse preisgeben werden.«
    »Meinst du damit, daß alle diese Bücher«, Florimel deutete mit einer ausladenden Handbewegung auf die turmhohen Regalwände, »in unbekannten Sprachen verfaßt sind?«
    »Gewiß doch.« Das Lächeln des Mönches ließ nicht nach. »Oh, sie waren schlau, die Alten! Und so viele der Sprachen sind völlig in Vergessenheit geraten. Und dann gibt es Codes, so viele Codes, unglaublich ausgeklügelte ebenso wie solche, die absolut sinnlos und verrückt sind. Und obwohl viele der Codes zweifellos letztlich entschlüsselbar sind, hängen sie mit anderen Büchern zusammen, die irgendwo in der Bibliothek stehen – aber natürlich können wir nicht wissen, mit welchen Büchern, weil wir ja den Code noch nicht verstehen.« Er strahlte vor Glück darüber, daß er so eine lohnende Beschäftigung fürs Leben hatte.
    Florimel sagte: »Das ist sehr interessant, Bruder Epistulus, aber …«
    »Bitte, ich bin nur Epistulus Tertius. So Gott will, wird mein Meister noch viele Jahre leben, und danach gibt es noch einen anderen, der vor mir an der Reihe ist, sich diese große Bürde aufzuladen.«
    »… Aber kannst du uns irgend etwas über das Haus selbst erzählen? Was ist außerhalb davon?«
    »Tja, da müßt ihr mit einem meiner Brüder reden, der eher auf philosophische Dinge spezialisiert ist«, entgegnete er. »Aber zuerst würde ich euch gern meine Spezialität zeigen …«
    »Op an!« rief T4b mit einem unbekannten Ton in der Stimme. Als Renie sich umdrehte, hockte er ein kurzes Stück weiter inmitten von Kindern auf dem Boden. Eines hatte den Ärmel von T4bs Kutte zurückgeschlagen und seine schimmernde Hand entdeckt; der Teenager tat fröhlich so, als wollte er sie packen, und die Kinder quiekten vor Aufregung und gespielter Furcht. Er sah so glücklich aus, daß Renie es nicht übers Herz brachte, etwas zu sagen, obwohl es ihr gar nicht gefiel, daß er solches Aufsehen erregte. Emily stand hinter ihm und sah dem Spiel mit einem versonnenen Ausdruck in ihrem schmalen Gesicht zu. Martine war näher bei Renie als bei Emily, T4b und den Kindern, aber so wie sie dastand, den Kopf gesenkt, die Lippen lautlose Worte formend, die Augen starr auf nichts gerichtet, schien sie kaum eine Verbindung mit der Gruppe zu haben. Renie verspürte den Drang, zu ihr hinüberzugehen und sich zu erkundigen, ob alles in Ordnung war – die Blinde wirkte auf ähnliche Weise verstört wie bei ihrem Eintritt in das Otherlandnetzwerk –, aber !Xabbu stupste Renie Aufmerksamkeit heischend am Arm, und der Mönch hätte ihnen allen nur zu gern seine übrigen Schätze gezeigt.
    »… Und natürlich sind wir in der Enträtselung dieser Sendschreiben nicht weiter als bei den Büchern«, sagte Epistulus Tertius gerade zu Florimel, »aber wir haben unlängst einen Durchbruch bei den Datenvermerken auf einigen Listen erzielt, die der Zivilisation der fernöstlichen Halle entstammen …«
    Eine Bewegung über ihr ließ Renie aufblicken. Mehrere der abstaubenden Mönche auf den Regalen hatten sich vorgebeugt, um die Worte ihres Bruders mitzuhören und die Neuen in Augenschein zu nehmen. Wie Epistulus Tertius hatten sie alle kahlgeschorene Köpfe, doch in jeder anderen Hinsicht schienen sie einer völlig anderen Spezies anzugehören, die jünger, kleiner und agiler war, zweifellos aufgrund der Anforderungen ihrer Arbeit. Sie hingen ohne

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