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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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darauf komme ich gleich zurück. Mit Sicherheit gab es keine Menschenseele, die John Wulgaru liebte. Wenn ihm andere Menschen überhaupt ein Gefühl entlockten, dann vermutlich sowas wie eine kalte Verachtung. Sodann war er körperlich ungemein schnell -Reflexe wie ein Sportler, obwohl er nicht sonderlich kräftig gebaut war. Wenn er mich so über den Schreibtisch hinweg anguckte, begriff ich, daß er mir jederzeit, wenn es ihm gerade in den Sinn kam, kurz mal den Hals brechen konnte, bevor ich auch nur imstande war, einen Finger zu rühren. Das einzige, was ihn davon abhielt, war der damit verbundene Ärger – die Bestrafung wäre lästig gewesen, er hätte Freiheiten eingebüßt –, und außerdem hatte ich ihn mit nichts besonders erbost. Aber einem Menschen mit so einem Gehirn gegenüberzusitzen, viel flinker und schärfer als dein eigenes, und er weiß, daß er dich umbringen könnte, wenn er wollte, und weiß auch, daß du es weißt, und es amüsiert ihn nur – Mann, das war ein Gefühl, als ob man nicht mehr mit einem menschlichen Wesen arbeitet, nicht mal mit einem der Psychokrüppel, die ich gewohnt war. Ich kam mir vor wie der erste Wissenschaftler, der ein fremdartiges Raubtier studiert.«
    Calliope merkte, wie ihr Puls wieder schneller schlug. Das mußte Pollys Killer sein. War er wirklich tot? Im Interesse der Gesellschaft mußte sie es hoffen, allerdings war es dann schwieriger, den Fall abzuschließen, und höchst unbefriedigend obendrein.
    »Und du hast das alles festgehalten?« fragte sie.
    »Hab ich, aber das meiste war in der Klinikdatei. Kann sein, daß ich noch ein paar von meinen privaten Aufzeichnungen zuhause habe.«
    »Du würdest uns einen Riesengefallen tun, wenn du nachschauen könntest.« Sie verspürte eine freudige Erregung, auch wenn sie nicht sagen konnte, warum. Durch irgendwelche Umstände waren Johnny Wulgarus Unterlagen verlorengegangen, und selbst wenn es ein Versehen gewesen war, war die bloße Tatsache für sie Grund genug, sie sehen zu wollen. »Nur aus Neugier, schien er sich irgendwie für Mythen zu interessieren? Aboriginemythen?«
    Doktor Danneys Augen wurden schmal, dann lachte er auf, aber es klang nicht sehr heiter. »Witzig, daß du das fragst.« Die muffelige Kellnerin pfefferte das bewußt altmodische kleine Tablett mit der Rechnung auf den Tisch. In der entstehenden Pause klopfte der alte Mann seine Taschen ab und zog dann umständlich seine Brieftasche heraus. »Ich nehme an, ich soll nochmal wiederkommen«, sagte er. »Wenn ich für euch nach diesen Dateien suchen soll, meine ich.« Er öffnete die Brieftasche und betrachtete den Inhalt.
    Calliope verstand den Wink. »Die Rechnung übernehmen wir, Herr Doktor. Wir sind dir sehr dankbar für deine Hilfe.« Sie würde für diesen Fall nie im Leben Auslagen ersetzt bekommen, deshalb mußte sie sie aus eigener Tasche bezahlen. Sie warf Stan einen kurzen Blick zu, aber dessen Lächeln ließ keinen Zweifel daran, daß er schwerlich etwas zuschießen würde.
    »Sehr freundlich.« Doktor Danney winkte der Kellnerin und bestellte Nachtisch und Kaffee. Nachdem diese, in ihrem Gang zu einem anderen Tisch gestört, theatralisch die Augen verdreht hatte und weitergeschlurft war, lehnte sich der alte Mann zurück und lächelte breit. »Wirklich sehr freundlich. Also, wo war ich stehengeblieben …?«
    »Bei Aboriginemythen.«
    »Genau. Ob er sich dafür interessierte, wolltest du wissen. Nein, er interessierte sich nicht dafür. Er hielt sie für reinen Schwachsinn.«
    Calliope mußte sich anstrengen, ihre Enttäuschung zu verbergen. Sie hatte darauf gewartet, daß Doktor Danney ein letztes Kaninchen aus dem Zylinder ziehen würde, doch statt dessen hielt er ihr nur das blanke Futter hin.
    »Das hatte den Grund«, fuhr Danney fort, »daß seine Mutter sie ständig im Mund führte. Jedenfalls hat er mir das erzählt, ihre Mutter – seine Großmutter, die er nie kennengelernt hat – war eine der hoch angesehenen Ältesten, eine Geschichtenerzählerin. Obwohl Wulgarus Mutter von zuhause weggelaufen war und in Cairns lebte, schwadronierte sie am laufenden Band über die alten Geschichten – von der Traumzeit und so weiter. Er wurde wütend, wenn ich danach fragte. Für ihn waren sie offensichtlich mit seiner Mutter verbunden. Nach einer Weile hörte ich auf zu fragen.«
    Calliope merkte, daß sie sich vorgebeugt hatte. Das war es! Sie hatte es irgendwie geahnt, und jetzt hatte sie es. In dem Moment wäre sie jede Wette

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