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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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nichts zu merken – aktenmäßig gab es so gut wie nichts über ihn.«
    Doktor Danney winkte geringschätzig ab. »Ihr wißt doch, wie diese Privatanstalten sind – da hebt gewiß keiner Unterlagen auf, die nicht mehr gebraucht werden. Ich bin sicher, daß bei der Übernahme ein Haufen Dateien gelöscht wurden.«
    »Kann ja sein, wenn er in der Klinik als tot galt.« Die Kellnerin kam, knallte die Getränke hin und rauschte wieder ab; Calliope ignorierte sie heldenhaft und blickte Danney unverwandt über den Rand ihres Glases hinweg an. »Jedenfalls hast du ihn für tot erklärt.«
    Der alte Mann zeigte ihr seine sehr guten Zähne. »Ich nicht, ich habe die Leiche weder untersucht noch sonstwas. Kein Gedanke. Aber als ich nachhakte, war das die Auskunft, die ich kriegte. Den Jugendamtsunterlagen zufolge starb er – herrje, wann war das, ein Jahr danach, zwei Jahre? –, nachdem er aus der Klinik heraus war.«
    Calliope nahm sich vor, genau herauszufinden, was für Unterlagen das sein sollten. »Warum hast du in der Sache nachgehakt? Zumal wenn du bereits eine Privatpraxis hattest?«
    »Warum?« Er warf Stan Chan einen Blick zu, als ob Calliopes Kollege die Frage für ihn beantworten könnte. Stan schaute ausdruckslos zurück. »Na ja, weil er so eine Rarität war, nehme ich an. Ich kam mir vor wie einer, der ein neues Tier entdeckt hat. Auch wenn du es der zoologischen Gesellschaft zum Geschenk machst, möchtest du es doch ab und zu besuchen gehen.«
    »Würdest du das bitte erläutern.« Sie schüttete ein halbes Päckchen Zucker in ihren Tee, dann beschloß sie, nicht so kleinlich zu sein, und leerte es ganz.
    Doktor Danney blinzelte nachdenklich. Er brauchte einen Moment, bevor er antwortete. »Tja, wie soll ich das sagen … Ich habe in meinem Beruf eine Menge gesehen, Detective. Die meisten der Kinder, mit denen ich zu tun hatte – alles Kinder mit massiven Problemen, vergiß das bitte nicht –, fielen grob in zwei Kategorien. Manche waren von der Grausamkeit in ihrem häuslichen Umfeld dermaßen zerstört worden, daß sie keine Chance hatten, jemals wie ein normales Mitglied der Gesellschaft zu denken oder zu handeln – ihnen fehlten wesentliche Persönlichkeitsanteile. Bei den andern war das nicht so ausgeprägt, entweder weil sie als kleine Kinder nicht ganz so schrecklich mißhandelt worden waren oder weil sie ein bißchen mehr Grips hatten oder Widerstandskraft, oder was weiß ich. Die hatten eine Chance. Sie konnten wenigstens theoretisch ein normales Leben führen, auch wenn das in der Praxis nicht häufig vorkam.«
    »Und in welche Kategorie gehörte John Wulgaru?«
    »In keine. Das war das interessante an ihm. Er hatte die schlimmste Kindheit, die du dir vorstellen kannst, Detective – die Mutter Prostituierte, extrem labil und völlig von Drogen und Alkohol abhängig. Sie hatte eine ganze Reihe brutaler, gewalttätiger Partner, die den Jungen mißbrauchten. Er landete frühzeitig im Heim. Auch dort wurde er geschlagen und vergewaltigt. Es waren alle Elemente vorhanden, um einen völlig vertierten Soziopathen aus ihm zu machen. Aber er hatte was Besonderes. Zum einen war er schlau – meine Güte, war der schlau!« Danneys Essen kam, aber er ließ es fürs erste stehen. »Er absolvierte die üblichen Intelligenztests, die ich mit ihm machte, mit Leichtigkeit, und obwohl sein Auffassungsvermögen lückenhaft war, hatte er einen ausgezeichneten Sinn für menschliches Verhalten. Meistens versteht die soziopathische Persönlichkeit andere nur weit genug, um sie zu manipulieren, aber John war beinahe fähig, sich in andere einzufühlen, nur daß es eben keinen einfühlenden Soziopathen geben kann, das ist ein Widerspruch in sich. Ich nehme an, das war ein weiteres Indiz für seine Intelligenz.«
    »Sandifer, der Gärtner, meinte, er sei zum Fürchten gewesen.«
    »Das war er! Selbst wenn er die logischen Probleme, die ich ihm vorlegte, zerpflückte, tat er das nicht, weil es ihm Spaß machte oder weil er mich beeindrucken wollte. Er konnte bei diesen Sachen brillieren, und darum mußte er. Verstehst du, was ich meine? Es war, als hätte man es mit einem Künstler oder einem mathematischen Wunderkind zu tun – er stand unter einem totalen Leistungsdruck.«
    »Und wieso war das zum Fürchten?« Calliope schaute streng zu Stan Chan hinüber, der gerade anfing, ein kleines Haus aus Zahnstochern auf dem Tisch zu bauen.
    »Weil ihm alles und alle vollkommen egal waren. Na, das stimmt nicht ganz, aber

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