Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
Schlagartig nüchtern geworden setzte er sich gerade hin. »Ich habe eine Frage, guter Eumaios«, begann er unvermittelt. Wenn diese Wesen Maschineneffekte waren, dann war es um so wahrscheinlicher, daß es Regeln gab, Logik … Antworten. Er mußte bloß herausfinden, wie sie lauteten. »Erzähle mir, wie die Menschen in deinem Land die Götter um Hilfe bitten.«
     
    Penelope erteilte ihm am Abend abermals eine Abfuhr, indem sie Paul anfangs als den bemitleidenswerten Bettler behandelte, den sie am Tag zuvor fortgeschickt hatte, dann aber rasch in den schmerzlichen Abschied einer liebenden Gattin umschwenkte, ihm Glück auf seiner Fahrt nach Troja wünschte und ihm wortreich beteuerte, sie werde sein Haus und sein Gut treulich verwalten und seinen kleinen Sohn zu einem wackeren Mann aufziehen.
    Ich hab sie offensichtlich mit irgendwas in eine Schleife gebracht, dachte er. Es tat weh mit anzusehen, wie die Frau, der er so lange nachgejagt war, etwas beweinte, das keinen Bezug zur aktuellen Realität hatte, nicht einmal zur verzerrten Realität des Simulationsnetzwerkes, doch es bestätigte ihn in seinem Vorhaben. Ich könnte ewig so weitermachen, schien es ihm, und es würde nicht das geringste ändern.
    »Warum kann deine Seele keine Ruhe finden, lieber Mann?« fragte sie plötzlich mit einem erneuten jähen Umschwung. »Ist es, weil deine Gebeine unbetrauert an einem fernen Gestade liegen? Weil die Götter, die dir zu Lebzeiten zürnten, deinen Namen und deine Taten auslöschen wollen? Habe keine Angst, nicht alle Götter sind dir feind, und du sollst nicht ungerächt bleiben. Andere werden mit Geschichten aus diesen fremden Ländern dein Angedenken und deinen guten Namen wieder aufrichten. Gerade jetzt begehrt mich ein Mann zu sprechen, um mir von deinem Leben und deinen Taten während deiner Abwesenheit zu berichten, und eines Tages wird dein Sohn, der verständige Telemachos, imstande sein, deinen schmählichen Tod zu vergelten.«
    Diese Mitteilung ließ kurz die Neugier in ihm aufflackern, bis er begriff, daß der Mann, von dem sie sprach, er selbst war, daß sie diese andere Episode in die jetzige Szene einbaute, in der er als sein eigener Geist auftrat.
    Es ist so, wie ich gleich dachte, sagte er sich deprimiert. Dies könnte immer so weitergehen. Irgendwie hab ich diese Schleife ausgelöst – ich muß sie auch beenden. Ein eisiger Gedanke durchfuhr ihn: Aber wenn sonst gar nichts mehr von ihr übrig ist? Wenn sie bloß eine kaputte Puppe ist, nichts weiter?
    Paul schüttelte die Vorstellung ab – er konnte es sich schlicht nicht leisten, diese Möglichkeit in Erwägung zu ziehen. Die Suche nach dieser Frau war nahezu das einzige, was seinem Leben einen Sinn gab. Er mußte daran glauben, daß sein Gefühl, sie zu kennen, etwas bedeutete. Er mußte daran glauben.
     
    Zwei weitere Tage vergingen.
    Aus einem eigenartigen Gefühl der Treue heraus gab Paul Penelope eine letzte Chance, die Wahrheit zu erkennen, aber wieder pendelte sie sich, nach dem Ausschlag in die Extreme von Paul als Geist und Paul als Bettler, auf die Vorstellung ein, er sei im Aufbruch nach Troja, und wollte nichts anderes hören. Ein ums andere Mal sagte sie ihm liebevoll trauernd Lebewohl, nur um anschließend gleich wieder von vorn mit dem Abschiednehmen anzufangen. Das einzige, worauf sie nicht kam, war das Szenarium, das alle anderen Ithakesier durchspielten – daß seine Figur, Odysseus, im verborgenen aus dem Trojanischen Krieg heimgekehrt war, gealtert zwar, aber gesund und wohlbehalten. Er vermutete, das hatte eine Bedeutung, aber verstand nicht, welche. Auf jeden Fall war er jetzt entschlossen, die Schale des Rätsels zu zertrümmern, statt den Rest seines Lebens mit fruchtlosen Lösungsversuchen zu verbringen.
    Die alte Dienerin Eurykleia, stellte er mit geradezu krankhafter Dankbarkeit fest, behandelte ihn weiterhin mit dem felsenfesten Vertrauen einer treuen Märchenamme. Als er ihr dargelegt hatte, was er wollte, wiederholte sie ihm seine Anweisungen, um ihm zu zeigen, daß sie sich alles richtig gemerkt hatte.
    Er ging den krakeelenden Freiern und den treulosen Mägden und Hausdienern aus dem Weg und verbrachte die restliche Zeit damit, auf der Insel, dem Traum-Ithaka, umherzuwandern. Er suchte Eumaios noch einmal auf und unternahm dann, nach der Wegbeschreibung des Sauhirten, einen langen Spaziergang über die von Bienen summenden Hügel zu einer kleinen ländlichen Kultstätte auf der anderen Seite der Insel. Der Ort

Weitere Kostenlose Bücher