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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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– Verbandsmaterial, Nadeln und leere Ampullen. Während er in seinem voluminösen Ensuit, in dem er wie ein verirrter Astronaut aussah, zum Einwurfschacht am anderen Ende des Kellerraumes trottete, huschten Del Ray und Joseph hinter den Containern hervor und eilten zum Fahrstuhl. Mit einem Gewaltspurt bekam Del Ray gerade noch die Finger in die Tür, bevor sie zugehen konnte; der Fahrstuhl läutete, aber der Pfleger unter seinem schweren Gesichtsschutz hörte es nicht.
    Als sie drin waren und nach oben fuhren, zerrte Del Ray die sterilen OP-Sachen aus der Papiertüte. »Beeil dich«, zischte er Joseph an, als dieser umständlich den Inhalt seiner Taschen umlud, darunter eine halbvolle Plastikflasche mit hustensaftfarbenem Wein. »Um Himmels willen, zieh endlich das Zeug an!«
    Als die Tür im zweiten Stock aufging, steckten ihre eigenen Sachen in der Tüte und trugen sie beide OP-Kleidung, die allerdings in Long Josephs Fall beängstigend viel Wade über den weißen Strümpfen freiließ. Del Ray führte ihn rasch den Flur hinunter, der zum Glück völlig leer war, und in den Umkleideraum für Krankenpfleger. Ensuits hingen an Haken an einer Wand wie die verlassenen Puppen riesiger Schmetterlinge. Zwei Männer redeten und lachten unter der Dusche, nur durch eine gekachelte Zwischenwand von ihnen getrennt. Del Ray faßte Joseph am Ellbogen, ohne das empörte Gegrummel des älteren Mannes zu beachten, und schob ihn zu der Wand mit den Environment Suits. Trotz einigen Genestels mit den Verschlüssen hatten sie in weniger als einer Minute die Anzüge an und waren wieder draußen auf dem Gang.
    Del Ray, der in seine Tasche fassen wollte, mußte stehenbleiben und den Ensuit aufmachen, um die Hand in den OP-Kittel zu bekommen. Er zog den zusammengefalteten Lageplan heraus, den ihnen sein Cousin gezeichnet hatte. Es war nicht der zuverlässigste Plan aller Zeiten: Der Cousin war zum einen kein großes Zeichentalent, zum andern hatte er die Stelle als Hausmeistergehilfe nur kurzfristig bekleidet, weil sein Vorgesetzter andere Vorstellungen von Pünktlichkeit gehabt hatte als er – eine Tugend, die Del Rays Cousin anscheinend genausowenig lag wie Zeichnen.
    »Wenn ihr einen seht, der Nation Uhimwe heißt«, hatte der Cousin ihnen aufgetragen, »den Hausmeister persönlich, dann gebt ihm von mir eins über die Rübe.«
    Dem Plan zufolge war die Langzeitstation im vierten Stock. Nach einem geflüsterten Wortwechsel setzte sich Del Ray mit seinem Beschluß durch, die Aufzüge möglichst zu meiden, in denen ihre selbstgebastelten Dienstmarken einer genaueren Überprüfung schwerlich standgehalten hätten. Er bugsierte Joseph zur nächsten Treppe.
    Oben angekommen lugten sie um die Ecke, bevor sie auf den Gang traten. Eine kleine Gruppe von Ärzten oder Schwestern – in den trüben, fast undurchsichtigen Ensuits sahen alle ziemlich gleich aus – überquerte ein paar Meter vor ihnen den Flur, mit zusammengesteckten Köpfen ins Gespräch vertieft, unterwegs in einen anderen Teil der Station. Del Ray schob Joseph zu einem Wasserspender, wo ihm zu seinem Entsetzen aufging, daß man durch den Gesichtsschutz unmöglich trinken konnte, so daß die Ausrede denkbar schlecht gewählt war. Nach kurzer panischer Überlegung zog er den älteren Mann in einen Seitengang, wo mit weniger Betrieb zu rechnen war; gleich darauf gingen zwei andere Krankenhausmitarbeiter an der Stelle vorbei, wo sie gerade noch gestanden hatten.
    Während Del Ray den Lageplan seines Cousins in das mattweiße Neonlicht hielt und sich zu orientieren versuchte, betrachtete Joseph ihn ungehalten. Der jüngere Mann war deutlich nicht der kühne Draufgänger, den man für so eine Aktion brauchte, schien es ihm. Er war ein Geschäftstyp und hätte es von vornherein bleiben lassen sollen, mit Revolvern rumzufuchteln und mit Kidnapperautos durch die Gegend zu düsen. Joseph fand, daß er selbst die ganze Sache recht gut im Griff hatte. Zum einen war er eigentlich kaum nervös. Na ja, ein bißchen vielleicht. Überhaupt, wo er gerade daran dachte, ein Schlückchen würde seinen Nerven sicher guttun. Wenn Del Ray dann zusammenklappte, konnte er sofort einspringen und das Kommando übernehmen.
    Nach kurzem Nachdenken sah er ein, daß es keine gute Idee wäre, direkt hier im Korridor, wo ihn jeder sehen konnte, der um die Ecke kam, den Gesichtsschutz abzunehmen und die Flasche anzusetzen. Da Del Ray immer noch blinzelnd den zerknitterten Zettel hin und her drehte, ging Joseph

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