Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
denen man hier und dort unglaubliche Schmerzen erzeugen könne, und er versicherte mir, dies alles und mehr werde mir widerfahren, falls ich mich sträubte oder irgendwelche Tricks versuchte – die komplette Schreckenslitanei des Erzschurken, wie in einem schlechten Netzfilm. Doch die Art, wie er beim Reden begierig die Schultern vorbeugte und langsam die Finger krümmte und streckte, ließ mich nicht vergessen, daß dies real war, daß er kein Konstrukt war, sondern ein Psychopath auf freiem Fuß in einer straflosen Welt. Schlimmer noch, er versprach mir, er werde sich zuerst Renie und die anderen vornehmen und ihnen in meinem Beisein alle diese Dinge antun.
Ich habe noch nie jemandem den Tod gewünscht, aber als ich ihn im normalen Plauderton schildern hörte, wie er die kleine Emily so lange zum Schreien bringen werde, bis ihr Kehlkopf den Dienst versagte, malte ich mir in glühenden Farben aus, daß mein Zorn sich in Energie verwandelte, aus mir hervorschoß und ihn zu schmutziger Asche verbrannte. Aber die neuen Fähigkeiten, die mir dieses Netzwerk verliehen hat, sind passiver Art. Ich konnte nur wehrlos lauschen, wie er immer weiterredete und eine zukünftige Grausamkeit nach der andern entwarf, bis ich innerlich abschaltete und nur noch ein eintöniges Murmeln vernahm.
Als er aufhörte – vermutlich weil er seinen Trieb fürs erste befriedigt hatte –, sagte er mir, er werde eine Weile fortgehen und …
Gott steh mir bei, er kommt zurück! Er schleift etwas hinter sich her … oder jemanden. Gott stehe uns allen bei!
Code Delphi. Hier aufhören.«
> »Das ist die größte Dummheit, die ich mir überhaupt vorstellen kann«, flüsterte Del Ray. Long Joseph hatte auf das Vorrecht des Alters gepocht, deshalb mußte sich Del Ray ganz hinten in die Ecke neben die Abfallanlage quetschen, während Joseph vorn am Rand saß.
»Und du bist der größte Feigling, den ich je gesehn hab«, erwiderte Long Joseph, obwohl er selber mehr als nervös war. Was ihm Sorgen machte, waren weniger Del Ray Chiumes burische Killer, die ihm eigentlich immer noch wie Hirngespinste vorkamen – sie hörten sich dermaßen nach Filmbösewichten an, daß Joseph sie einfach nicht richtig ernst nehmen konnte –, als die Krankenhausquarantäne. Er wußte, daß damit nicht zu spaßen war und daß sie, wenn man sie erwischte, ins Gefängnis wandern würden, wenigstens eine Zeitlang, und er hatte allmählich das Gefühl, daß er wieder zu Renie und den anderen zurückkehren sollte.
»Ich hätte dich erschießen sollen, als ich es noch konnte«, murrte Del Ray.
»Haste aber nich«, trumpfte Long Joseph auf. »Und jetzt halt den Mund.«
Sie kauerten hinter den Müllcontainern in der Garage des Klinikums Durban Outskirt, in der wegen der Quarantäne nur wenige Wagen parkten. Del Ray hatte schließlich vor Josephs hartnäckigem Drängen kapituliert und ein paar Freundschaftsdienste von Verwandten und Nachbarn in Anspruch genommen: Wenn alles gutging, würden sie hineinkommen. Was allerdings, wie Del Ray ständig betonte, die geringste Schwierigkeit war.
Long Joseph war das egal. Der Hüttenkoller, der ihn aus der Militärbasis »Wespennest« hinausgetrieben hatte, war ihm auf seinen Irrfahrten vergangen, und der Durst, der ihm mindestens genauso zugesetzt hatte, war inzwischen mehr als zur Genüge gelöscht. Jetzt, wo sein Verstand ein bißchen aufklarte, kam ihm der Verdacht, wenn er zurückging und nicht mehr geleistet hatte, als etliche Liter Mountain Rose zu trinken, könnte das bei Renie und den anderen einen schlechten Eindruck machen.
Selbst dieser Jeremiah wird über mich die Nase rümpfen. Der Gedanke war schwer erträglich. Schlimm genug, wenn die eigene Tochter einen für einen verantwortungslosen Schwachkopf hielt, aber daß diese Schwuchtel womöglich dasselbe dachte – nee, das ging nicht.
Doch wenn er mit Neuigkeiten von Stephen zurückkam, vielleicht sogar melden konnte, daß sich sein Zustand gebessert hatte, dann würde die Sache ganz anders aussehen.
»O Papa«, würde Renie sagen, »ich hab mir solche Sorgen gemacht, aber jetzt bin ich froh, daß du’s getan hast. Das war so mutig …«
Ein spitzer Ellbogen in den Rippen riß ihn aus seinen Phantasien. Er wollte protestieren, aber Del Ray beschwor ihn mit auf die Lippen gepreßtem Finger, ja still zu bleiben. Der Fahrstuhl kam herunter.
Aus der Fahrstuhltür trat ein Pfleger, der einen schweren Wagen mit Krankenhausabfällen in Säcken vor sich herschob
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