Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
darfst dich nicht in Gefahr begeben. Du bist ein Diener der Bibliothek, kein Mitglied der Flurwache.«
    Factum Quintus verdrehte seine großen Augen, aber nickte. »Ja, Primoris.«
    »Gott sei Dank«, sagte Renie. Es klang wie ein lange zurückgehaltener Seufzer. »Dann können wir los. Wir können Martine suchen gehen.«
     
     
    > »Code Delphi. Hier anfangen.
    Ich weiß nicht, ob ich diesmal überhaupt laut genug spreche, um eine später wieder auffindbare Aufzeichnung zu hinterlassen. Ich traue mich nicht, lauter zu sprechen. Er ist fort, aber ich weiß nicht, wann er wiederkommt.
    Er ist der schrecklichste Mensch, der mir je begegnet ist.
    Er hat mich so mühelos überwältigt. Mir blieb nur eine Sekunde, um zu merken, daß etwas nicht stimmte – mein Gott, und das trotz meiner Sinne, die mich hätten warnen müssen, daß er ganz in der Nähe war! Aber es kamen mehrere Umstände zusammen, Lärm und die Hitze einer Kohlenpfanne und das Getümmel lachender und springender Kinder, und so hatte er mich geschnappt, bevor ich es gewahr wurde. Ich wurde zu Boden geworfen, sein Arm legte sich würgend um meinen Hals, und binnen Sekunden verlor ich das Bewußtsein. Ich bin sicher, die Leute um uns herum sahen nur jemand hinfallen und jemand anders Hilfe leisten. Es hätte überhaupt keinen Verdacht erregt, wenn er mich aufgehoben und weggetragen hätte. Vielleicht hat er es sogar jemand anders machen lassen, einen guten Samariter, der so unwissentlich zu meinem Verderben beitrug. Er stieß mich um und brachte mich nur mit dem Druck seines Armes augenblicklich zum Schweigen. Er ist erschreckend stark.
    Und es war Quan Lis Arm um meinen Hals. Irgendwie macht es das noch furchtbarer. Er bewohnt den Körper einer Frau, die wir zu kennen meinten, wie ein böser Geist. Wie ein Dämon.
    Ich muß aufhören und nachdenken. Ich weiß nicht, wie lange ich gefahrlos sprechen kann.
    Ich befinde mich in einem Raum, leer wie einige von denen, die wir zuvor durchforschten, aber klein, von Wand zu Wand vielleicht fünf Meter, und mit nur einem erkennbaren Eingang, einer Tür in der Wand gegenüber. Ich weiß nicht, ob wir noch in dem großen Haus sind – ich bin hier aufgewacht und habe keine Erinnerung, wie ich hergekommen bin –, aber es macht sehr den Eindruck. Alte Möbel sind in einer Ecke aufgestapelt, nur einen Stuhl hat er in die Mitte des Zimmers gestellt, auf dem er vor weniger als zehn Minuten noch gesessen und mir fröhlich die gräßlichen Sachen erzählt hat, die er mir jederzeit antun kann, wann es ihm gefällt. Meine Hände sind über meinem Kopf mit einem Stück Tuch gefesselt, und das Tuch ist an etwas festgemacht, das ich nicht recht erkennen kann, eine Wandlampe vielleicht oder eine Wasserleitung. Wenigstens hat er mich so gefesselt, daß ich auf dem Boden sitze – meine Arme schmerzen, aber meine Position könnte schlimmer sein, zumal bei der Vorstellung, längere Zeit darin zubringen zu müssen.
    Ich habe Angst. Ich schaffe es mit Mühe und Not … nicht zu weinen. Was mich vor dem totalen Zusammenbruch bewahrt, ist allein das Wissen, daß die anderen nach mir suchen werden. Aber das macht mir auch Angst um sie, große Angst.
    Er ist ein Monster. Ein menschliches, gewiß, aber das ist viel schlimmer als ein Codeprodukt, das auf eine feste Rolle programmiert ist und dabei so wenig Entscheidungsfreiheit hat wie eine automatische Tür – ein Schritt in den Strahl, und die Tür geht auf oder zu. Aber er ist ein Mensch. Er denkt, und dann handelt er. Er genießt das Grauen – oh, wie er es genießt! Die ruhige Art, in der er spricht, beweist es mir – er muß sich beherrschen, um nicht ganz seiner Wollust zu verfallen.
    O Gott, ich habe solche Angst …!
    Nein. Das nützt mir nichts. Wenn ich am Leben bleiben will, muß ich nachdenken. Ich darf nicht aufhören nachzudenken. Ich muß mir jede Einzelheit einprägen. Er kann jeden Moment zurückkommen, und wer weiß, welcher Teufel ihn dann gerade reitet. Er hat mit mir geredet, als ich hier zu mir kam – er hat viele Sachen gesagt. Wenn dieses Monster eine Schwäche hat, dann ist es seine Redseligkeit. In seinem Leben, vermute ich, umgibt ein großes Schweigen diese Sache, die ihm am wichtigsten ist, und wenn er mit Leuten sprechen kann, von denen er weiß, daß sie nicht lange genug leben werden, um sein erzwungenes Geheimnis preiszugeben, kann er sich gehenlassen. Und da er sich mir offenbart hat, bedeutet das natürlich … o Gott. Nein, ich darf nicht daran

Weitere Kostenlose Bücher