Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
einzuschleichen, machte ihn ganz krank.
    Wieso lande ich ständig in irgendwelchen Märchen? fragte er sich. Und auch noch so grausigen – wie in den schlimmsten Phantasien der Brüder Grimm.
    Er beäugte Azador, der es sich bereits an den Wänden der Mulde bequem machte und offensichtlich vorhatte, ein wenig zu schlafen. Das war eine gute Idee, aber Paul schwirrte der Kopf von Gedanken, und hinter allem saß die große Angst vor ihrem bevorstehenden Schritt, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließ. Er wandte seine Aufmerksamkeit dem rätselhaften Mann neben ihm zu, der viel über die Simulation, aber nichts über ihren Ursprung zu wissen schien.
    »Und, woher kommst du?« fragte er leise.
    Azador klappte ein Auge auf und runzelte die Stirn, aber sagte nichts.
    »Hör mal, wir sitzen hier in der Patsche. Wir müssen einander vertrauen. Warum bist du in diesem Netzwerk?« Jäh kam ihm ein Gedanke. »Gehörst du zu diesem Kreis?«
    Sein Begleiter schnaubte voller Verachtung. »Eine Bande bescheuerter Gadscho-Pfaffen.« Er spuckte aus.
    »Hast du … hast du dann was mit den Gralsleuten zu tun?« Er flüsterte die Worte nur, weil ihm noch im Gedächtnis war, was Nandi über die mithörenden Apparate der Netzwerkbesitzer gesagt hatte. »Gehörst du der Bruderschaft an?«
    Azadors eben noch verächtliche Miene nahm einen kalten, reptilienhaften Ausdruck an. »Wenn du mich das nochmal fragst, dann werde ich nachher keinen Finger krumm machen, um dich vor dem Einauge zu retten, dann soll er dich meinetwegen fressen.« In seinem Ton lag kein Hauch von Humor. »Das sind Schweine.«
    »Wer bist du dann? Was machst du hier?«
    Der schnauzbärtige Mann stieß sichtlich genervt die Luft aus. »Wie gesagt, ich bin hinter einer Frau her, die was von mir hat. Niemand stiehlt Azadors Gold und behält es. Ich werde sie finden, ganz gleich, in welcher Welt sie sich versteckt.«
    »Sie hat dir Gold gestohlen?«
    »Sie hat was gestohlen, das mir gehört.«
    Paul stellten sich die Nackenhaare auf, denn ihm war etwas eingefallen. »Eine Harfe? War es eine goldene Harfe?«
    Azador starrte ihn an, als hätte er angefangen, wie ein Hund zu bellen. »Nein. Ein Feuerzeug.« Er wälzte sich herum und drehte Paul demonstrativ den Rücken zu.
    Ein Feuerzeug …? Immer wieder meinte Paul, das Universum um ihn herum könne nicht mehr absurder werden, und immer wieder erwies sich das als Irrtum.
     
    Als er unausgeruht aus einem flachen Schlaf aufwachte, sah er Azador vor sich knien, der ihm das scharfe Ende seines selbstgemachten Speeres dicht an den Hals hielt. In dem von den Wolken gefilterten Mondlicht sah das Gesicht des Mannes hart wie eine Maske aus, und einen Moment lang war Paul überzeugt, daß sein Gefährte ihn umbringen wollte.
    »Komm«, flüsterte Azador. »In einer Stunde wird es hell.«
    Benommenheit und Verwirrung waren nur ein dünner Schleier vor dem nackten Entsetzen, als Paul sich schwerfällig erhob. Zum erstenmal seit längerem dachte er sehnsüchtig an Kaffee – wenn sonst nichts, hätte das Ritual des Kaffeekochens wenigstens eine aufschiebende Wirkung gehabt.
    Er folgte Azador den schlammigen Hang hinauf, auf dem er für zwei Schritte aufwärts einen Schritt wieder hinunterrutschte. Das Gewitter war abgezogen, und als sie die Gipfelwiese erreichten, standen sie unter einem sternenfunkelnden Himmelszelt. Azador legte einen Finger auf die Lippen – höchst überflüssigerweise, fand Paul, der vor Furcht, er könnte auf einen Zweig treten und das Scheusal wecken, ohnehin fast bewegungsunfähig war.
    Je näher sie dem Höhleneingang kamen, um so langsamer wurden sie, bis es den Anschein hatte, die Zeit selbst sei eine zähe, schwere Masse geworden. Schließlich beugte sich Azador spähend vor, dann richtete er sich auf, die Zähne zu einem grimmigen Grinsen gebleckt, und winkte Paul zu kommen. Der Stamm hatte tatsächlich verhindert, daß der Stein den Eingang ganz verschloß: eine rötlich scheinende Sichel zeigte die Lücke an.
    Der Geruch nach Fleisch und tierischer Ausdünstung und saurem Schweiß war noch schlimmer, als Paul ihn in Erinnerung hatte. Sein Magen revoltierte schon seit dem Aufwachen; als sie jetzt über den Stamm stiegen und sich durch den schmalen Spalt in die Höhle zwängten, kostete es ihn seine ganze Selbstbeherrschung, sich nicht zu übergeben.
    Die Schnarchtöne des Ungeheuers waren tief und feucht. Paul sank vor Erleichterung fast zusammen, und genauso erfreulich fand er es, daß ihr Floß

Weitere Kostenlose Bücher