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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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der Unhold das Floß an die Felswand lehnte, einen wimmelnden Teppich aus Schafen um die Knöchel. Er bückte sich und rückte einen Stein zur Seite, der die dunkle Öffnung der Höhle verschloß, woraufhin die stillen Schafe eines nach dem anderen hineinströmten. Als sie sich vom Eingang verzogen hatten, warf er das schwere, aus Baumstämmen gezimmerte Floß hinterher, als ob es ein Teetablett wäre, und folgte ihnen.
    Sobald sie hörten, wie der Stein knirschend wieder an seinen Platz gesetzt wurde, sprangen Paul und Azador auf und liefen so schnell in den Schutz des Waldes, wie ihre zittrigen Beine sie trugen.
     
    Paul lag zusammengekrümmt auf dem Boden eines geschützten Grabens, der sich langsam mit Regenwasser füllte. Sein Herz raste immer noch, aber es fühlte sich nicht mehr so an, als würde es gleich zerspringen. Seine Gedanken waren ein einziges Chaos.
    »Der Dreckskerl … hat unser … unser Floß!« Azador war so außer Atem, daß er kaum sprechen konnte.
    Paul reckte das Kinn aus dem Wasser und krabbelte ein Stückchen höher. Bei allem Grauen, das er empfand, arbeitete doch noch etwas anderes in ihm, etwas, das mit Azador zu tun hatte … mit der Art, wie er sich bekreuzigt hatte …
    »Wenn wir es nicht wiederkriegen, werden wir auf dieser elenden Insel verrecken!« zischte Azador, aber er hatte sich gefangen und hörte sich eher wütend als erschrocken an.
    … Aber dies hier war nicht bloß irgendein altes Griechenland, dies hier war Homers Griechenland und damit ungefähr tausend Jahre vor … vor …
    »Jesus Christus!« rief Paul. »Du bist überhaupt nicht von hier! Du kommst von außen!«
    Azador drehte sich um und starrte ihn an. Jetzt, wo ihm die schwarzen Locken vom Regen am Schädel klatschten und der Schnurrbart otterähnlich herabhing, sah er etwas weniger kühn und stattlich aus. »Was?«
    »Du bist gar nicht aus Griechenland – jedenfalls nicht aus diesem Griechenland hier. Du kommst von außerhalb des Systems. Du bist real!«
    Azador blickte ihn herausfordernd an. »Und du?«
    Paul erkannte, daß er den Vorteil, den dieses Wissen ihm womöglich hätte verschaffen können, verschenkt hatte. »Scheiße.«
    Der andere Mann zuckte mit den Achseln. »Wir haben jetzt keine Zeit für sowas. Dieser verdammte Riese wird unser Floß verfeuern. Dann kommen wir hier nie mehr weg.«
    »Und? Was sollen wir denn machen, an seine Höhlentür klopfen und es zurückverlangen? Das ist ein Zyklop! Hast du die Odyssee nicht gelesen? Die Kerle fressen Menschen so wie du Ziegen!«
    Azador blickte mißmutig drein, sei es, weil von Lesen die Rede war oder weil er an das Ziegenfleisch denken mußte, das ihm entgangen war. »Er wird es verfeuern«, wiederholte er stur.
    »Und wenn schon.« Paul bemühte sich, einen klaren Gedanken zu fassen, aber der Donner dröhnte ihm in den Ohren, und er hatte sich immer noch nicht von dem schrecklichen Anblick eines abgrundtief häßlichen Mannes erholt, der so groß wie ein zweigeschossiges Haus war. »Selbst wenn wir in der Lage wären, den Stein wegzuwälzen, könnten wir ihn nicht davon abhalten. Vielleicht schmeißt er es ja auch bloß auf den Holzstoß. Oder er hat Verwendung für das Segeltuch und die Seile.« Er atmete zitternd aus und wieder ein. »Aber wir können so oder so nichts machen. Menschenskind, du hast doch gesehen, wie groß der Kerl ist!«
    »Niemand nimmt Azador was weg«, sagte der andere Mann bissig. Diesmal klang es, fand Paul, weniger wie ein Ehrenstandpunkt als wie ein Symptom der Geisteskrankheit. »Wenn du mir nicht hilfst, warte ich, bis er rauskommt, und schneide ihm dann die Kniesehnen durch.« Er nahm sein Messer und schwenkte es in der Richtung des Gipfels. »Wollen wir doch mal sehen, wie groß er ist, wenn er auf dem Bauch liegt.«
    Offensichtlich würde Azador in den sicheren Tod rennen, wenn Paul nicht auf eine Alternative kam, aber genauso offensichtlich gab es nicht viele Alternativen. Wenn sie auf der Insel blieben, war es nur eine Frage der Zeit, bis der Unhold sie irgendwo aufspürte, wo sie nicht entkommen konnten. Vielleicht hatte er auch noch Verwandte – war in der Odyssee nicht davon die Rede, daß alle Zyklopen auf derselben Insel lebten? Sie benötigten unbedingt eine Idee, aber Paul bezweifelte, daß ihm etwas Brauchbares einfallen würde. »Wir könnten ein neues Floß bauen«, schlug er vor.
    Azador schnaubte. »Sollen wir die Bäume mit meinem Messer absägen? Und was nehmen wir als Segel, diese Windel hier, die

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