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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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andere Mal.
    »Wie geht’s dir, Liebes?« fragte ihre Mami mit ihrer süßen Stimme, aber sie hörte sich besorgt an, wie zur Zeit eigentlich immer.
    »Okay«, gab Christabel zur Antwort. Aber es ging ihr nicht okay. Sie hatte Angst, daß ihr Papi nicht rechtzeitig heimkam. Noch mehr Angst hatte sie davor, daß er zwar rechtzeitig heimkam, aber daß dann etwas ganz Schlimmes passieren und nichts jemals wieder okay sein würde.
     
    Es wurde nicht besser dadurch, daß ihr Papi schlechter Laune war, als er heimkam, und fluchte, weil er auf der Veranda eine Gießkanne umgestoßen hatte, die dort nicht hingehörte. Mami entschuldigte sich, dann entschuldigte sich Papi, aber guter Laune war er deswegen trotzdem nicht. Er sagte nur kurz hallo zu Christabel, ging gleich in sein Arbeitszimmer und zog die Tür hinter sich zu.
    Christabel blickte auf die Uhr an der Wand über dem Spülbecken und sah, daß sie nur noch zehn Minuten hatte. Sie schenkte sich ein Glas Wasser ein, aber trank nicht, und starrte die Cartoons auf dem Kühlschrank an, obwohl sie die alle längst kannte.
    »Ich will mit Papi reden«, sagte sie schließlich.
    Ihre Mutter sah sie eindringlich an, wie sie es machte, wenn Christabel sagte, ihr wäre nicht wohl. »Er wird im Moment seine Ruhe haben wollen, Schätzchen.«
    »Ich will mit ihm reden.« Sie hätte am liebsten geweint, aber sie durfte sich nichts anmerken lassen. »Ich will doch bloß mit ihm reden, Mami.«
    So plötzlich, daß Christabel beinahe erschrocken gequiekt hätte, kniete sich ihre Mutter hin und schlang die Arme um sie. »Schon gut, Liebes. Klopf an die Tür und frag ihn. Du weißt, wie lieb wir dich haben, nicht wahr, das weißt du?«
    »Sicher.« Christabel fühlte sich nicht besonders, und Beteuerungen, wie lieb Mami und Papi sie hatten, machten es nur schlimmer. Sie entwand sich den Armen ihrer Mutter und ging den Flur hinunter zum Arbeitszimmer.
    Nur weil sie wußte, daß ihr bloß noch wenige Minuten blieben, schaffte sie es, an die Tür zu klopfen, denn ihr war zumute, als stände sie vor einer Drachenhöhle oder einem Spukhaus. »Papi, darf ich reinkommen?«
    Einen Moment lang sagte er gar nichts. Als er antwortete, hörte er sich müde an. »Sicher, Kleines.«
    Er hatte sich aus der Schon-so-früh-Mike?-Flasche einen eingeschenkt und saß in seinem drehigen Stuhl vor dem Wandbildschirm, der voll von Geschriebenem war. Er blickte auf, und obwohl er sich inzwischen wieder rasierte, wirkte sein Gesicht irgendwie alt und traurig, und das Herz tat ihr noch mehr weh. »Was gibt’s? Essen fertig?«
    Christabel holte tief Luft. Sie versuchte sich an ein Gebet zu erinnern, denn sie wollte beten, daß Herr Sellars das wirklich hatte ausrichten lassen, daß der fiese Junge mit den schlechten Zähnen sich das nicht bloß ausgedacht hatte, aber ihr fiel nur Müde bin ich, geh zur Ruh ein, und das kam ihr nicht richtig vor.
    »Papi, hast du … hast du meine MärchenBrille noch?«
    Er drehte sich langsam um und sah sie an. »Ja, die habe ich, Christabel.«
    »Hier?«
    Er nickte.
    »Dann … dann …« Das Reden fiel ihr schwer. »Dann mußt du sie aufsetzen. Weil der Mann, der sie mir gegeben hat, mit dir reden will.« Sie blickte in die Ecke des Wandbildschirms, wo in weißen Ziffern 18:29 stand. »Genau jetzt.«
    Papis Augen wurden groß, und er setzte an, etwas zu fragen, dann sah er nach der Zeit und holte seine Schlüssel aus der Jackentasche. Er schloß die unterste Schublade des Schreibtischs auf und nahm die schwarze MärchenBrille heraus. »Ich soll sie aufsetzen …?« fragte er. Seine Stimme war sehr leise, aber es war etwas darin, das ihr ganz doll Angst machte, etwas Hartes und Kaltes, wie ein Messer unter einem Bettlaken.
    Es war noch schlimmer, als er die Brille aufhatte, weil da seine Augen weg waren. Er sah aus wie ein Blinder. Richtig wie ein Insekt sah er aus, oder wie ein Außerirdischer.
    »Ich weiß nicht, was …«, begann er, dann stockte er. Einen Moment lang war Stille. »Wer bist du?« stieß er schließlich grimmig und zischend wie eine Schlange hervor, und weil er noch in ihre Richtung sprach, hatte Christabel einen Moment lang die furchtbare Vorstellung, er fragte sie das.
    Gleich darauf sagte er mit einer anderen Stimme: »Christabel, geh jetzt bitte aus dem Zimmer!«
    »Aber, Papi …!«
    »Hörst du? Sag deiner Mutter, ich habe ein wenig länger mit etwas zu tun.«
    Christabel stand auf und ging zur Tür. Ein paar Sekunden lang blieb es still, doch als sie

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