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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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unter dem bestimmt riesengroßen Druck zusammenbrach, würden ihr Vater und seine Mitarbeiter wissen, daß die Person, die an die Brille sendete, gewissermaßen bei ihnen unterm Dach sitzen mußte. Beziehungsweise im Keller.
    Wenn er ein ängstlicher Typ gewesen wäre, hätte er jetzt Angst gehabt. Als nächsten hätte er dann Yacoubian am Hals und damit – auch wenn Christabels Vater und seine sonstigen Untergebenen das vielleicht nicht wußten – die gesamte Gralsbruderschaft. Wenn erst einmal der richtige Schluß gezogen war, hatte die Sache in wenigen Stunden ein Ende und Sellars möglicherweise nicht einmal die Chance, mehr zu tun, als sich selbst und alles Beweismaterial zu vernichten. Es konnte sogar sein, daß seine Aufspürung in diesem Moment schon in vollem Gange war.
    Er faßte sich, indem er an seinen Garten dachte, an die wuchernden und rankenden virtuellen Pflanzen. Man bekam nichts geschenkt, aber das galt für seine Gegner so gut wie für ihn. Kurz und gut, er mußte etwas tun, und der naheliegende Angriffspunkt war Christabels Vater, Major Michael Sorensen. Wenn Sellars das sonderbare Betriebssystem besessen hätte, mit dem die Bruderschaft arbeitete, hätte er den Mann einfach hypnotisieren können, wenn er das nächstemal online war, sein Gehirn manipulieren. Er hätte bewirken können, daß die Brille verschwand und die ganze Sache vergessen wurde. Freilich, erst hätte er bereit sein müssen, in das Gehirn des Mannes einzugreifen, die geistige Gesundheit von Christabels Vater aufs Spiel zu setzen und vielleicht sogar sein Leben.
    Sellars sah Cho-Cho an, dessen schmuddeliges Gesicht derzeit durch den am Kinn verschmierten Schokoladenpudding noch schmuddeliger war. War es etwas anderes, im Innenleben eines Erwachsenen herumzupfuschen, als harmlose Kinder wie Christabel zu benutzen – oder wie diesen Jungen, der im Vergleich zu Sellars zweifellos harmlos war?
    »Es wird auf eine Entscheidung hinauslaufen, Señor Izabal«, sagte er schließlich. »Und mein Freund Señor Yeats wäre der erste gewesen, der darauf gedrungen hätte …
     
… Ein alter Mann ist nichts, ein Mantel der
    Zerfetzt an einem Ständer hängt – das heißt,
    Wenn nicht die Seele jauchzt und singt, je mehr
    Ihr Erdenkleid in morsche Fetzen reißt …
     
    … Und viel zerfetzter als du und ich können Mäntel nicht sein, was?«
    Cho-Cho glotzte ihn an und wischte sich den Mund, wobei er großzügig Pudding auf Handgelenk und Unterarm verteilte. »’äh?«
    »Das ist aus einem Gedicht. Ich muß eine Entscheidung treffen. Wenn ich die falsche treffe, wird etwas sehr, sehr Schlimmes geschehen. Wenn ich die richtige treffe, könnte trotzdem etwas sehr Schlimmes geschehen. Hast du je vor einer solchen Entscheidung gestanden?«
    Der Junge beäugte ihn unter langen Wimpern hervor, ein Tier, das sich lautlos zur Verteidigung oder Flucht bereit machte. Schließlich sagte er: »Immer muß ich denken, ist so – schlimm so und schlimm so. Am Ende immer sie kriegen dich. Siempre.«
    Sellars nickte, aber er fühlte etwas wie Schmerz. »Wahrscheinlich. Jetzt höre mir genau zu, mein junger Freund. Ich werde dir sagen, was du dem kleinen Mädchen von mir ausrichten sollst.«
     
     
    > Ihr war zumute, als wären vier volle Tage vergangen, seit sie von der Schule nach Hause gekommen war, und nicht nur vier Stunden, aber sie konnte nichts anderes tun als darüber nachdenken, was der gräßliche Junge ihr gesagt hatte. Sie wußte nicht einmal sicher, ob Herr Sellars ihm das wirklich aufgetragen hatte. Wenn dieser Cho-Cho sie nun anlog? Wenn Herr Sellars nun richtig krank war und der Junge bloß schlimme Sachen anstellen wollte? Sie hatte mal jemand im Netz sagen hören, Kinder wie dieser Junge würden das Gesetz mißachten, und das hieß, wie sie sehr wohl wußte, daß sie stahlen und gemein zu Leuten waren. Hatte er sie nicht hingeschubst? Ihr mit dem Messer gedroht?
    Sie wollte so gern loslaufen und Herrn Sellars fragen, ihn selber und niemand anders, aber ihre Mutter saß nur ein paar Schritte vom Küchentisch weg, und obendrein guckte sie auch noch ständig über die Schulter, als dächte sie, Christabel könnte versuchen, sich davonzuschleichen.
    Sie brütete über den Hausaufgaben, aber die vielen Gedanken machten sie so wirr im Kopf, daß sie ihre Teilaufgaben nicht mehr konnte und nicht mehr wußte, was die Dividende und was der Investor war, oder wie das hieß, und so setzte sie einfach Zahlen ein und löschte sie wieder, ein ums

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