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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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wie ein »Killerautomat« ein Kind auf der Autobahn in den Tod gejagt und einem anderen den Schädel zertrümmert habe, daß die Firma einen Monat nach dem Unfall ein Reorganisationsverfahren einleitete und ihre Vermögenswerte an ein anderes Unternehmen verkaufte. Cho-Cho sollte noch weitere Schicksalsschläge erleben – seine Mutter und seine kleine Schwester erstickten ein Jahr später, als ein Fernfahrer abends bei einer Fahrtpause unter dem Freeway den Motor laufen ließ, um warm zu bleiben, und dabei seine Abgase in ihr Wabennest blies –, aber das, was er sich vom Leben erwartete, war durch diese Nacht bereits weitgehend vorgeformt worden.
    Wir sind die Ratten in den Wänden war das einzige, was er von seinem Vater mitnahm, als er von zuhause fortlief, um zu schauen, ob weiter oben an der Ostküste die Sommer kühler und die Polizisten nicht so scharf waren. Sie werden uns fangen, uns vergiften. Sie wollen unsern Tod.
     
    Cho-Cho sah das kleine Mädchen mit gesenktem Kopf weggehen, langsam und traurig, als ob er ihr gerade verkündet hätte, er werde ihr Haus anstecken oder so. Warum hatte sich der alte Knacker überhaupt jemals mit ihr eingelassen? Der Typ war schräg, aber auf seine Art war er auch ziemlich schlau – er wußte einen Haufen Zeug, soviel war sicher. Warum also hatte er sich von einem Schoßhündchen wie der helfen lassen?
    Weil er keine andere Wahl gehabt hatte, begriff der Junge plötzlich. Er hätte einen cleveren Straßenstreuner wie Cho-Cho genommen, wenn er gekonnt hätte, aber sie waren sich nicht rechtzeitig begegnet. Als das mal passiert war, hatte er das kleine Mädchen ziemlich umgehend ins Mamapapaland zurückgeschickt.
    Bei dem Gedanken bekam Cho-Cho auf seinem Rückweg durch den Spazierpark direkt hinter der Schule ein leichtes Federn im Schritt, aber er vergaß dennoch nicht, zwischen den Bäumen zu bleiben, wo er von den Wegen aus nicht zu sehen war. Er hatte es langsam satt, den Militärfraß zu essen, den der alte Krüppel Sellars im Tunnel gelagert hatte, aber so satt hatte er es auch wieder nicht – es war viel besser, als gar nichts zu essen, und auch den abgepackten Mahlzeiten im Jugendknast vorzuziehen, wo sie ihn einbuchten würden, wenn sie ihn schnappten. Wenn er Glück hatte, hieß das natürlich, und sie ihn nicht einfach durch den Hinterausgang vom Stützpunkt schafften und erschossen – Jagd auf »Snipes« nannten das die azules. Leuten, die das Sagen hatten, durfte man nicht trauen. Im Netz machten sie einen Haufen schöne Worte, aber er wußte, daß sie Ratten nicht ausstehen konnten.
    Sellars war anders, aber Cho-Cho blickte noch nicht richtig durch, warum. Eigentlich blickte er überhaupt nicht durch, was den Mann im Rollstuhl betraf. Der alte Krüppel versteckte sich vor den Leuten von der Armee, aber er machte das direkt unter einem Armeestützpunkt. Er hatte freien Zugang zum irrsten Teil des Netzes, den Cho-Cho je gesehen hatte – besser als die besten Spiele oder sonstwas –, aber er wollte, daß Cho-Cho reinging, obwohl sie es irgendwie nicht richtig hinkriegten, jedenfalls nicht sehr lange. Und er murmelte ständig vor sich hin, genau wie Cho-Chos abuela in den Bergen bei Guatemala City, wo er einmal mit seinem Papa hingefahren war – eine gräßliche, schweißtreibende Schiffsreise, die etliche Tage gedauert hatte, bloß um eine alte Frau in so einem Indianerdorf zu besuchen, die nicht mal mehr Zähne hatte und die in ihrem kleinen Haus einen dürren Affen an der Leine hielt. Sie hatte erfreut gewirkt, ihren Enkel kennenzulernen, aber er hatte ihre Sprache nicht verstanden, und von seinem Vater hatte er keine großen Übersetzungen erwarten können. Er wußte, daß er sein Leben lang nicht vergessen würde, wie das Haus gerochen hatte, nach gekochtem Mais und Affenscheiße.
    Mit Sellars zu leben war nicht sehr anders, auch wenn es gracias a Dios keinen Affen gab. Aber die Sachen, die der Alte murmelte, gaben keinen Sinn, auch wenn sie in einer Sprache waren, die Cho-Cho konnte – er redete mit sich selbst über seinen Garten, so als ob er weiterhin ein eigenes Haus hätte, und er flüsterte Worte wie »Plattform« und »Kaël-Strukturen«, als ob er sich ein Haus bauen wollte, wenn er schon keines hatte. Was ziemlich beknackt war, denn wenn es einen alten vato gab, der einen Hammer nicht einmal heben, geschweige denn gebrauchen konnte, dann war es Sellars. Er hatte Arme wie Besenstiele, und obwohl er ständig dieses Sauerstoffzeug am Kochen

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