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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hatte wie eine eklige Suppe, tat er sich mit dem Atmen so schwer, daß Cho-Cho wegen seinem Keuchen und Husten manchmal nicht schlafen konnte.
    Aber es war komisch. Er wollte nicht, daß der Mann starb, auch wenn er ein alter Krüppel war. Nicht bloß weil er sich dann auf eigene Faust vor den Armeetypen verstecken mußte und die mu’chita wahrscheinlich nicht mal mehr was zu essen bringen würde. Nein, nicht bloß deswegen. Auch die Art, wie Sellars mit ihm redete, hatte irgendwie was Merkwürdiges, das er nicht recht verstand. Man konnte fast meinen, der Alte würde ihn leiden mögen oder so. Natürlich wußte Cho-Cho, daß das Quatsch war. Leute wie Sellars, Weiße, die ein eigenes Haus hatten – oder immerhin mal ein eigenes Haus gehabt hatten –, mochten keine Straßenratten leiden. Das behaupteten sie, wenn jemand eine Netzdoku darüber drehte, wie traurig alles war, oder wenn der Staat oder die Kirche irgendeinen aufgemotzten Caridad-Schuppen einweihten, aber in Wirklichkeit wollten solche Leute nicht mit einem schmutzigen kleinen Jungen mit ausgeschlagenen Zähnen, wunden Stellen an den Armen und ständig eiternden Beinen zusammensein.
    Aber Sellars war echt schräg. Er redete sanft und nannte Cho-Cho »Señor Izabal«. Als er das zum erstenmal gemacht hatte, hätte Cho-Cho ihn fast aus seinem Rollstuhl geschmissen, aber es war kein Witz gewesen, jedenfalls nicht die Art, die Cho-Cho gewöhnt war. Und Sellars bedankte sich, wenn er ihm etwas brachte. Eine Zeitlang hatte Cho-Cho sicher geglaubt, der Alte wäre einer von der Sorte, die es mit Kindern hatte – warum sollte er sich sonst mit einer kleinen gatita wie dieser Christy Bell anfreunden, oder wie sie hieß? Wenn er sich schlafen legte, nahm er deshalb ein scharfes Metallstück in die Hand, das er in einer Mülltonne gefunden hatte, und hielt den mit Klebeband umwickelten Griff fest umklammert. Aber Sellars versuchte nie irgendwas.
    War er also bloß un anciano loco? Aber wenn, wie kam er dann in diese wahnsinnstolle Welt, die besser war als das Netz, eine Welt, die Cho-Cho mit eigenen Augen gesehen hatte, sonst hätte er es nicht geglaubt? Und warum brachte Sellars ihn erst dann online, wenn er eingeschlafen war? Er mußte irgendwo geheim eine mordsgroße Station haben, die Cho-Cho nicht sehen sollte, ein Ding, das Unmengen cambio wert war. Die ganze Geschichte war so abgefahren, daß irgendwo Geld im Spiel sein mußte, und das wollte Cho-Cho sich nicht durch die Lappen gehen lassen. Wenn man eine Ratte war, mußte man nehmen, was man kriegen konnte, und immer auf dem Posten sein. Außerdem mußte er es so deichseln, daß auch dann, wenn der verbrannte alte Mann starb, Cho-Cho El Ratón dennoch in diese Netzwelt zurückkonnte, in diese absolut krasse, voll geile Welt.
     
     
    > »Also ihr Vater hat die Brille …« Sellars bemühte sich, ruhig zu klingen, aber diese Meldung war ein Schock. Es war ein hochriskantes Spiel mit dem Glück gewesen, aber zu dem Zeitpunkt hatte er keine andere Wahl gehabt – entweder ihr das Gerät geben oder das Risiko eingehen, daß sie ihn ständig zu verabredeten Zeiten in seinem Versteck aufsuchte, und wie lange ließ sich das mit einem Kind machen, bevor es Aufmerksamkeit erregte?
    Cho-Cho zuckte mit den Achseln. »’ase gesagt.« Er war heute ungewöhnlich verschlossen, selbst für seine Verhältnisse. Eigentlich lief der Junge immer in einer permanenten dunklen Wolke des Mißtrauens und der Gereiztheit umher, aber das bedeutete, daß er ziemlich leicht zu durchschauen war. Sein Vorhaben war Sellars oft hoffnungslos vorgekommen, aber niemals so sehr wie bei der Erkenntnis, daß seine einzigen Verbündeten in der wirklichen Welt die kleine Tochter des Mannes, der hinter ihm her war, und ein wenig älterer Junge waren, der seit Jahren nicht mehr in einem Haus geschlafen hatte – ein Junge, der in diesem Moment die Ecke eines Plastikbeutels mit Puddingpulver aufbiß, damit er den Inhalt aussaugen konnte wie ein Schimpanse einen Markknochen.
    Sellars seufzte. Er war so müde, so schrecklich müde, aber diese jüngste Krise duldete keinen Aufschub. Womöglich war es schon zu spät – die MärchenBrille würde einer normalen Untersuchung standhalten, aber wenn Techniker die Bauteile überprüften, die er mit geschicktem Postbetrug und Manipulationen an den Bezugslisten im Lauf von zwei Jahren zusammengekratzt hatte, würden sie merken, daß der Empfangsbereich des Geräts sehr klein war. Selbst wenn Christabel nicht

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