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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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bestrafen. Wir werden eine Million Jahre herrschen, und alle Sterne werden unser Lob singen!
     
O Höchster, Schöngeschmückter«,
     
    fing er unvermittelt an, die Hymne an sich selbst zu dröhnen,
     
»Mit einer Rüstung so glänzend wie die Barke des Re,
    Stimmgewaltiger, Wepwawet!
    Wegeöffner, Herr im Westen,
    Dem sich alle Gesichter zuwenden -
    Du bist herrlich in deiner Hoheit …!«
     
    Während die Priester des Re ein wenig holpernd das Lied aufgriffen – die meisten allem Anschein nach nicht so recht mit vollem Herzen –, begriff Orlando, daß das »Wir«, das alle diese Taten vollbringen sollte, Upuaut selber war und daß der Wolfgott so durchgedreht war wie ein Pfund Hackfleisch.
    Als die erste Strophe der Hymne ausgeplätschert war und Upuaut, seiner eifrigen Haltung nach zu urteilen, die zweite anstimmen wollte, fragte Orlando ihn hastig: »Hast du noch mein Schwert?«
    »Schwert?« Die großen gelben Augen verengten sich sinnend. »Schwert. Hmmm. Ja, ich glaube, ich habe es irgendwo hingelegt – sieh doch mal hinter dem Thron nach. Nicht ganz die rechte Waffe für einen König, wenn du verstehst. Oh, Rüstung so glänzend wie die Barke des Re«, krächzte er leise vor sich hin, während sein Kopf nach vorne sank. Seine Augen wurden noch schmäler, bis sie nur mehr Schlitze waren.
    Orlando und Fredericks schlichen sich hinter den Thron, wo sie sich mit einem kurzen Augenrollen wortlos darüber verständigten, was sie von diesem Wolfgott hielten. In einem unappetitlichen Haufen von Hühnerknochen und hart gewordenen Kerzenwachsresten, die hinter den Thron gefegt worden waren, fanden sie rasch Orlandos Schwert, genauer gesagt, Thargors Schwert. Orlando hob es auf und spähte die Klinge entlang. Außer einigen Kerben und Flecken, die es vorher nicht gehabt hatte, war es im wesentlichen unbeschädigt, dasselbe Schwert, das Thargor bei seinen ersten Abenteuern als barbarischer Eindringling in den dekadenten Süden von Mittland geführt hatte.
    Als sie gerade, um einen möglichst großen Abstand zwischen sich und dem Thron zu wahren, in einem weiten Bogen zum Lager des Kreises zurückgehen wollten, begannen die Affen (die sich während der Audienz bei Upuaut ungewöhnlich still verhalten hatten) auf Orlandos Schultern zu tanzen. Fredericks’ Passagiere sprangen sofort hinüber und machten mit.
     
»Stinkgewaltiger, Lumpenwolf!«
     
    sangen sie, wobei sie zwischen quietschenden Kicheranfällen Upuauts knurrende Stimme zu imitieren suchten,
     
»Flaschenöffner, Herr der Reste,
    Dem alle den Rücken zuwenden -
    Du bist scheußlich in deiner Doofheit …!«
     
    Orlando und Fredericks versuchten sie zum Schweigen zu bringen, aber die Äffchen hatten schon zu lange still sein müssen. Orlando beschleunigte seine Schritte, doch als er sich umblickte, sah er zu seiner Erleichterung, daß Upuaut völlig in Gedanken versunken war und anscheinend selbst die Priester zu seinen Füßen nicht mehr wahrnahm. Die lange Schnauze des Wolfgottes ging langsam auf und nieder, als witterte er jetzt erst etwas, das schon verschwunden war.
     
    Nahe dem Hauptportal des Tempels lag ausgestreckt ein Wesen von so extremer Größe, daß es als einziges zu den wuchtigen bronzenen Torflügeln zu passen schien. Auch wenn die ruhende Gestalt nicht so gewaltig gewesen wäre, hätte Orlando sie nicht übersehen können, denn sie nahm die Mitte einer großen freien Fläche ein – höchst auffällig bei dem Massenandrang im Tempel. Zuerst dachte er, es sei Dua, der lavendelblaue Riese, der sie am Hintereingang abgefangen hatte, doch die Haut dieses Sphinx war rötlich gelb, die Farbe des Abendlichts auf Stein. Saf, wie sein Bruder ihn genannt hatte, war mit seinem wie gemeißelten Menschenkopf auf einem Löwenkörper von der Größe eines kleinen Busses nicht weniger eindrucksvoll als sein Zwilling. Die Augen des Wesens waren geschlossen, doch als Orlando und Fredericks sich auf ihrem Weg durch das Gewimmel brauner Leiber kurz einmal am Rand der Masse entlangstahlen, blähten sich seine Nüstern; gleich darauf gingen die dunklen Augen auf und fixierten sie. Obwohl der Sphinx sie ausdruckslos betrachtete und nicht einmal eine Tatze in ihre Richtung bewegte, hatten sie es auf einmal sehr eilig, mehrere Menschenreihen zwischen sich und diesen seelenruhigen, aber zutiefst erschreckenden Blick zu bringen.
    Orlando mußte einen Moment anhalten und sich verschnaufen. Er wollte lieber gegen sechs rote Greife kämpfen, dachte er sich, als

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