Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
hätte dann keine Bewegungsfreiheit mehr. Es kann sein, daß er ein paar Schritte gehen muß, um etwas Markantes zu sehen. Haltet bitte einfach fest, und holt ihn zurück, wenn er zweimal kräftig zieht.«
    »Wenn ich zweimal kräftig ziehe!« kam munter das Echo von Herrn Pingalap. Als er sah, wie Fredericks und Orlando die Augen abwandten, war sein glucksendes Lachen, mit dem er auf sein welkes Fleisch zeigte, so hoch und schrill, daß es von einem der Bösen Bande hätte sein können. »Der Körper selbst ist Illusion – und das hier ist nicht einmal ein wirklicher Körper!«
    Orlando versuchte gar nicht erst zu erklären, daß ihre Reaktion eher ästhetische als sittliche Gründe hatte. Nandi Paradivasch machte ein paar Signalbewegungen mit der Hand, und über der Sonnenscheibe ging ein schimmerndes goldenes Rechteck auf. Herr Pingalap trat hindurch, und Nandi fing leise zu zählen an.
    »Festhalten«, ermahnte er sie zwischendurch. »Wir wissen nicht, was er vorfindet.«
    Orlando griff fester zu, doch der Tuchstreifen hing schlaff in seiner Hand.
    »Wo wollt ihr beiden übrigens hin?« fragte Nandi. »Wenn wir Pech haben, ist Pingalap in diesem Augenblick genau an eurem Zielort, und wir müssen einen ganzen Umlauf des Gateways abwarten. Andererseits ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß wir von allen möglichen Simulationen gerade eure als erste erwischen.«
    Orlando hatte einen geistigen Aussetzer. Fredericks stupste ihn an und flüsterte: »Mauern.«
    »Genau, Ilions Mauern – das war’s, was die Frau aus dem Gefrierfach uns sagte.«
    Nandi runzelte die Stirn, wenn auch mehr, weil er abgelenkt war, als über Orlandos Worte, aber unmittelbar darauf drehte er sich um und fragte: »Ilions Mauern? Troja?«
    Orlando zuckte unsicher mit den Achseln.
    »Das ist ein merkwürdiger Zufall«, sagte Nandi. »Nein, ich bezweifle, daß es ein Zufall ist …«
    Er wurde von Herrn Pingalaps plötzlichem Erscheinen im Gateway unterbrochen. In keiner schlechteren Verfassung als vorher – aber auch in keiner besseren, dachte Orlando – kam der alte Mann aus dem feurig leuchtenden Rechteck geschlurft. Als er zu erzählen begann, flackerte der Durchgang hinter ihm auf und verblich dann.
    »Es war wie der Potala«, berichtete er, »ein mächtiger Palast im Hochgebirge. Aber es war nicht der Potala. Es war zu … zu …«
    »Zu westlich?« fragte Nandi. »Dann ist es wahrscheinlich Shangri-La.« Er blickte auf die Handvoll Fliesen, auf die er seine Aufzeichnungen gekritzelt hatte. »Probieren wir es noch einmal und schauen wir, wo wir landen.«
    Wieder wurde ein Gateway aufgerufen. Während es aufglühte, hörte Orlando eine Lärmwelle aus dem Hauptsaal des Tempels schwappen, ängstlich erhobene Stimmen, das Getrappel laufender Menschen. Herr Pingalap tauchte in den goldenen Glanz ein, und das Tuch spannte sich mit einem jähen Ruck. Orlando wurde vorwärtsgerissen; hinter sich fühlte er, wie Fredericks stolperte und sich bemühte, wieder festen Stand zu gewinnen.
    »Nicht loslassen!« rief Orlando, der immer näher an das Gateway heranrutschte. »Zieh!«
    »Zieht ihn nicht heraus«, mahnte Nandi. »Er wird uns Bescheid geben – er zählt ebenfalls mit, und er muß Zeit für Beobachtungen haben.«
    »Beobachtungen?« schrie Orlando. »Irgendwas versucht ihn zu verschlingen!«
    Nandi faßte helfend mit an. Im nächsten Moment war Orlando von einer irritierenden gelben Wolke umringt, dem bienenähnlichen Schwarm der Bösen Bande. Als Nandi mit seinem langsamen Zählen gerade bei zwanzig angekommen war, meinte Orlando, außer dem konstanten Ziehen noch ein Reißen an dem Tuch streifen wahrzunehmen. Er warf sich mit seinem ganzen Thargorgewicht dagegen und zerrte mit aller Kraft. Halb rechnete er damit, irgendein schreckliches Ungeheuer durch die Öffnung zu ziehen, das den alten Mann wie einen Fischköder verschluckt hatte, aber statt dessen kam der ehrwürdige Pingalap wie ein Sektkorken aus dem goldenen Rechteck geflogen. Vom Gegenzug befreit stürzten Orlando und Fredericks zu Boden, Orlando auf seinen Freund obendrauf.
    Begeistert schwirrte die Böse Bande über ihnen im Kreis wie ein Haufen Sterne über einer Comicfigur, die einen Schlag auf den Kopf bekommen hat. »Nochmal!« quiekten alle. »Zieh, zieh, plumps! Nochmal!«
    »Es war eine Art Windkanal«, keuchte Herr Pingalap. Er stand vornübergebeugt, als wäre er soeben beim Marathon durchs Ziel gelaufen; seine dünnen Härchen standen vom Kopf ab, und er hatte einen

Weitere Kostenlose Bücher