Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
wenn der alte Don noch nicht tot ist.« Sie runzelte die Stirn. »Schau mich nicht so an, Junge, ich guck Netz wie jeder andere auch. Osiris ist der Enkel des Alten. Er ist es, der hier wirklich das Sagen hat. Alle legen sie Lippenbekenntnisse auf Re ab, aber im Grunde macht der Alte nichts anderes als in seinem Boot, das die Sonne ist, über den Himmel fahren, oder wie die Geschichte sonst geht. Aber achten müssen sie ihn, wenigstens öffentlich.« Bonnie Maes Miene wurde hart. »Deshalb warten sie auch ab, bis es Nacht ist, bevor sie irgendwas unternehmen, denn da ist Re in der Unterwelt. Was grinst du so? Meinst du, das wird lustig, was hier passieren wird?«
Das meinte er keineswegs, aber die Vorstellung einer ägyptischen Mafia in Leinenröckchen und schweren schwarzen Perücken reizte auf einmal seine Lachmuskeln. »Glaubst du, sie greifen heute nacht an?«
»Das weiß keiner. Aber es gibt Gerüchte, daß Osiris bald zurückkommt, und Tefi und Mewat werden bestimmt nicht wollen, daß er von dieser Sache Wind bekommt – sie geben gerade keine besonders gute Figur ab. Daher kann es gut sein. Aber wir schaffen euch beide vorher hier raus, Junge.«
»Prima, aber was wird aus dir und den andern?« fragte Fredericks.
Statt zu antworten bückte sich Bonnie Mae plötzlich und fing einen Miniprimaten der Bösen Bande, der an Fredericks’ Umhang zu Boden gerutscht war. »Ich sollte mir ein klitzekleines Stöckchen besorgen und dich damit vertrimmen«, herrschte sie das zappelnde Äffchen an, bevor sie es behutsam wieder auf Fredericks’ Schulter setzte.
»War teine Absicht!« plärrte es. »Hindefallen!«
»Wer’s glaubt.« Bonnie Mae zögerte kurz, dann drückte sie beide Jungen kurz am Arm, bevor sie in die Ecke des Tempels zurückmarschierte, wo der Kreis sein Lager hatte.
»Mir paßt dieses Warten nicht …«, begann Fredericks. Eine heisere Stimme unterbrach ihn.
»Ah! Da sind ja die Götter vom Fluß!« Upuaut hatte sie erspäht und winkte sie mit langen, haarigen Fingern zu seinem Thron. Orlando drehte sich um und begegnete Bonnie Maes Blick; sie war stehengeblieben und sah ihn mit ohnmächtiger Bestürzung an.
Er und Fredericks traten vor das Podest. Sie mußten fast drei Meter zu dem erhöht darauf thronenden Upuaut aufschauen, doch selbst bei dem Abstand erkannte Orlando, daß der Wolfgott nicht gut aussah: Seine Augen waren rotgerändert, und seine Zeremonialperücke saß leicht schief und hing halb über einem Ohr. Er hielt ein Geißelszepter und einen Speer in den Händen und klopfte mit der Geißel andauernd nervös an die Seite des Throns. Fredericks starrte ihn an wie hypnotisiert, als der Wolf sich mit einem übertrieben breiten Grinsen und einem widerlichen Aasgeruch zu ihnen herunterbeugte.
»Sieh einer an!« Sein jovialer Ton klang ein wenig hohl. »Ihr kommt mich besuchen. Ja, seht nur her! Wie ich es euch versprochen habe, führe ich die himmlischen Scharen gegen die Schurken an, die mir Unrecht getan haben.«
Orlando nickte und rang sich ein Lächeln ab.
»Und ihr seid den ganzen weiten Weg gekommen, um euch mir anzuschließen – gut, sehr gut! Immerhin war es das Geschenk eure Bootes, das mir zur Rückkehr aus dem Exil verholfen hat. Ich werde Sorge tragen, daß euer Vertrauen auf mich nicht unbelohnt bleiben wird – eure Namen werden in alle Ewigkeit in den himmlischen Hallen erschallen.« Er sah sich um. Eingedenk vielleicht seiner Situation sagte er in etwas weniger exaltiertem Ton: »Ihr seid doch gekommen, um euch mir anzuschließen, oder?«
Orlando und Fredericks wechselten einen Blick, aber ihnen blieb keine große Wahl. »Wir sind hier, um den Tempel zu verteidigen, ja«, log Orlando. »Und dir in deinem Kampf gegen diese beiden zu helfen – gegen … gegen …«
»Toffee und Wermut«, warf Fredericks helfend ein.
»Gut, gut.« Upuaut grinste, daß sämtliche Zähne zu sehen waren. Es interessierte ihn anscheinend wenig, ob die Namen seiner Feinde richtig ausgesprochen wurden, oder er hörte schlicht nicht mehr genau zu, wenn man ihm etwas sagte. »Hervorragend. Zum richtigen Zeitpunkt werden wir aus dem Tempel hervorstürmen wie Großvater Re, wenn er am östlichen Horizont erscheint, und unsere Feinde werden heulen und sich vor uns in den Staub werfen. Oh, sie ahnen nicht unsere Macht! Sie wissen nicht, wie gewaltig wir sind! Sie werden weinen und uns um Vergebung anflehen, wir aber sind streng und werden alle, die gegen uns die Hand erhoben haben, unbarmherzig
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