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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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auch eine wilde Affäre ihre Reize.
    Während sie darauf wartete, daß ihre Wohnungstür sie erkannte, fragte sie sich, ob sie inzwischen zu weit gegangen war, um noch jemals umzukehren und ein normales Leben zu führen. War es bloß der Adrenalinstoß? Den konnte sie sich bestimmt auch anderswo holen – mit Fallschirmspringen, Über-die-Autobahn-Laufen, irgendwas. Die ganze Sache war ihr am Anfang so aufregend vorgekommen, aber das dachten die Leute immer, bevor es bergab ging. Dulcy war nicht so dumm, davor die Augen zu verschließen. Lohnte es sich wirklich?
    Es waren die Träume, die sie nervös machten, sagte sie sich, als die Tür widerwillig beschloß, sie einzulassen. Die bedrückenden Träume. Sie waren nicht sonderlich rätselhaft. Ihr Cockerspaniel Nijinski – der Name stammte von ihrer Mutter, Dulcy hatte ihn »Jinkie« gerufen –, der kleine Hund, der von einem Auto angefahren worden war, als sie zehn war, litt schrecklich. Sie wußte nicht genau, warum oder woran (im Traum kam kein Auto vor, kein Blut an der kleinen Hundeschnauze wie damals in Wirklichkeit), aber sie wußte, daß sie Jinkie von seiner Qual erlösen mußte, »sein Leiden beenden«, wie ihre Mutter damals gesagt hatte. Doch in den Träumen kam auch keine Tierarztpraxis vor, kein Geruch nach Alkohol und Haustierfell. In ihren Träumen hatte sie einen Revolver, und als sie dem kleinen Hund den Lauf an den Kopf hielt, drehte er ihr seine Augen zu, ohne sie wahrzunehmen, nur als Reaktion auf das Metall, das seinen Schädel anstupste.
    Dulcy mußte sich nicht von einem Spezialisten aus der Park Avenue sagen lassen, wovon der Traum handelte, daß sie nicht von Jinkie träumte, sondern von einem kolumbianischen Gearfex namens Celestino. Sie war sehr zufrieden damit gewesen, wie gut sie die Sache erledigt hatte – prompt und sauber, wie wenn man eine Spinne mit einer Zeitungsrolle zerklatscht –, und stolz darauf, wie wenig sie ihr ausgemacht hatte. Aber Nacht für Nacht sah sie Jinkies kleinen Körper bei ihrem Näherkommen vor Furcht zittern. Nacht für Nacht wachte sie schweißgebadet auf und rief mit brüchiger Stimme die Raumbeleuchtung auf.
    Es geht los, Anwin, sagte sie sich. Du dachtest, du würdest ungeschoren davonkommen – falsch gedacht. Aber die Welt ist voll von unschuldigen kleinen Kindern, die jeden Tag an Hunger, Mißhandlungen, Prügel sterben, und ihretwegen hast du keine schlaflosen Nächte. Was grämst du dich wegen einer Ratte wie diesem Celestino? Erhat mit seinem Verhalten alle andern Beteiligten an der Operation in Gefahr gebracht. Du warst eine Soldatin, und er war ein Sicherheitsrisiko. Du mußtest deine Pflicht tun.
    Was ja stimmen mochte – ganz sicher war sie sich da nicht mehr –, aber es gab Momente, vor allem um zwei Uhr morgens, in denen die Vorstellung, für eine normale Firma tätig und mit einem Mann verheiratet zu sein, der sich wild und verwegen vorkam, wenn er sie auf der Wohnzimmercouch statt im Schlafzimmer vögelte, durchaus etwas für sich hatte.
    Dulcy stellte die Einkäufe ab, und während Jones ihr schnurrend um die Knöchel strich, machte sie sich erst einmal einen Drink. Sie war sauer auf sich, wegen ihrer Anwandlung von Zimperlichkeit ebenso wie wegen der Promptheit, mit der sie nach Hause geeilt war, bloß weil Dread es ihr befohlen hatte. Sie hatte sich gerade einen Spritzer Soda in den Scotch getan, als die ruhige Stimme des Wandbildschirms einen Anruf meldete.
    »Ich mach’s kurz«, sagte er, als sie an die Leitung gegangen war. Was er in letzter Zeit getrieben hatte, sei es online oder in Cartagena, mußte ihm gut bekommen sein: Er sah gepflegt und zufrieden aus, wie ein gut gefütterter Panther. »Als erstes hätte ich gern ein paar nähere Ausführungen zu deinem Bericht.«
    »Über das virtuelle Objekt – das Feuerzeug?« Sie nippte an ihrem Drink und versuchte sich zu sammeln. Sie hätte ihre Notizen aufrufen sollen, sobald sie zur Tür herein war, aber aus einem Schulmädchentrotz heraus war sie zuerst zum Scotch gegangen. »Na ja, wie gesagt, es ist nicht so einfach, wenn man mit dem Objekt nicht in seiner Matrix experimentieren kann. Es ist eine sehr gute Simulation eines altmodischen Feuerzeugs …«
    Er machte eine wegwerfende Handbewegung, aber hörte nicht auf zu lächeln. Sie fragte sich, wieso er so aufgekratzt war – soweit sie das gemeinsame Konto überblickte, das sie in letzter Zeit nicht mehr benutzt hatte, weil er es selber ständig beanspruchte, hielt er sich

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