Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
Leute?«
Kunohara tätschelte das seidene Knie des anderen. »Reisende, die mir irgendwann über den Weg gelaufen sind, Viticus. Du brauchst dich nicht zu beunruhigen.«
»Aber wieso nennen sie dich mit einem andern Namen? Das gefällt mir nicht.« Viticus klang jetzt quengelig wie ein kleines Kind. »Sie sollen sofort getötet werden. Dann sind sie nicht mehr so lästig.«
»Jawoll! Sofort töten!« Diejenigen der Speicherspinnen, die nicht den Mund voll Schnaps hatten, griffen das Wort auf und wiederholten es rhythmisch. Renie sprang erschrocken auf. Sofort faßte jemand ihr Bein, aber es war nur !Xabbu , der ihr auf die Arme kletterte.
»Meine Idee ist, daß wir versuchen sollten, am Leben zu bleiben, bis sie vom vielen Trinken einschlafen«, flüsterte er Renie ins Ohr. »Vielleicht verfolgen sie mich, wenn ich fliehe, das würde euch übrigen Zeit geben …«
Bei der Vorstellung, daß !Xabbu , und sei es in seinem flinken Paviankörper, von schwerbewaffneten Mördern durch dieses unbekannte Riesengebäude gejagt wurde, schnürte die Angst Renie die Kehle zu, aber bevor sie etwas sagen konnte, erfüllte ein tiefes, vibrierendes Brummen den Raum. Die Banditen verstummten, während der Ton zu einem lauten Gongen anschwoll und dann wieder verklang.
»Das ist unser Zeichen«, erklärte der bleiche Anführer. »Die Glocken haben getönt. Die Mutter wartet.« Er wollte noch etwas sagen, wurde aber von einem Hustenanfall daran gehindert, der außergewöhnlich lange dauerte und damit endete, daß er zusammengekrümmt und tuberkulös röchelnd auf seinem Stuhl hing. Als er sich wieder einigermaßen erholt hatte, erspähte Renie einen Blutfleck an seinem Kinn. Viticus zog ein schmutziges Taschentuch aus dem Ärmel und wischte ihn ab. »Führt sie ab«, keuchte er und zeigte mit einer schlaffen Handbewegung auf Renie und ihre Gefährten. Sofort nahmen die Speicherspinnen sie wieder in die Mitte.
Beim Auszug aus dem Glockenturm, vorbei an einem marmornen Schwein mit dem Barett eines Professors auf dem Kopf und einem Ausdruck aufgeblasenen Selbstwertgefühls im Gesicht, gesellte sich Kunohara zu Renie.
»Er ist natürlich schwindsüchtig, der Weiße Fürst«, sagte er wie in Fortführung einer angeregten Unterhaltung. »Ziemlich beeindruckend, daß er sich zum Herrn über diesen wilden Haufen aufgeschwungen hat.« Er hatte die Harlekinmaske irgendwo fallengelassen und stierte jetzt !Xabbu , der immer noch bei Renie auf dem Arm saß, mit einem Blick an, als ob dieser ein echter Affe in einem Zoo wäre. Wenn Kunohara nicht betrunken war, machte er den Zustand jedenfalls sehr gut nach.
»Wovon sprichst du?« fragte Renie. Sie hörte eine scharfe Stimme und schaute sich zu T4b um; der junge Mann vertrug das Gepuffe und Geschiebe schlecht, aber Florimel hatte sich bereits zu ihm begeben und redete begütigend auf ihn ein. Die Räuber führten sie eine Treppe hinunter und dann durch eine Bogentür in einen langen, dunklen Flur. Einige der Speicherspinnen hatten Laternen dabei, die Schatten an die Wände und an die stuckverzierte Decke warfen.
»Von Viticus, dem Anführer«, antwortete Kunohara. »Er ist ein Sproß aus einer der reichsten Familien, die Sorte, die ihre großen Häuser an der Gemalten Lagune hat, doch selbst in diesen alten und kauzigen Dynastien erregten seine Gewohnheiten Anstoß, und er mußte ins Exil gehen. Jetzt ist er der Weiße Fürst der Dachspeicher, ein Name, vor dem die Leute zittern.« Er rülpste, aber entschuldigte sich nicht. »Eine faszinierende Geschichte, aber das Haus ist voll von solchen Sachen.«
»Ist dies deine Welt?« fragte !Xabbu .
»Meine?« Kunohara schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Die Leute, die sie geschaffen haben, sind tot, aber ich kannte sie. Ein Ehepaar, ein Drehbuchautor und eine Künstlerin. Der Mann wurde sehr reich mit einer Netzserie, die er sich ausdachte – ’Johnny Icepicks kann das sein?« Kunohara schwankte ein wenig beim Gehen und rempelte an die Büchse von Renies Bewacher, demselben Mann, der sie die Treppe zum Glockenturm hinaufgeknufft hatte. »Du hältst bitte ein bißchen Abstand, Saufaus«, wies Kunohara ihn an.
Ausnahmsweise kicherte der Bandit nicht – Renie meinte sogar ein leises unwilliges Murren zu hören –, aber er gehorchte.
»Jedenfalls nahmen der Mann und seine Frau das Geld und bauten damit das Haus. Eine Liebesarbeit, nehme ich an. Es ist einer der wenigen Orte im Netzwerk, die mir wirklich fehlen werden – eine überaus
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