Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
können, wo sie es herhatte.
Kapitel
Die Madonna der Fenster
NETFEED/NACHRICHTEN:
Rote Gesichter vorm Blauen Tor
(Bild: Werbung für Blue Gate Familienspaß)
Off-Stimme: Der virtuelle Vergnügungspark Blue Gate gab Millionen für eine der größten Einführungspartys in der Geschichte des Netzes aus. Jetzt sieht es so aus, als hätte das Management ein klein bißchen mehr für Sondierungen im Vorfeld ausgeben sollen. Anscheinend geriet fast ein Viertel der Gäste, die Eintritt für die Festivitäten des ersten Tages lösen wollten, statt dessen in einen Knoten namens Blue Gates – ein einziger Buchstaben aber ein himmelweiter Unterschied.
(Bild: Roxanna Marie Gillespie, zahlende Kundin beim Blue Gate Familienspaß)
Gillespie: »Es ist ein Pornoknoten – aber es schreibt sich fast genauso. Ich bin echt schockiert! Meine Kinder kamen an und sagten: ’Wir wollten zum Daten-Dachs, aber dann war da auf einmal ein dunkles Zimmer, wo ganz viele Leute waren, die nichts anhatten …’«
Off-Stimme: Gate Family Product Industries, die den Blue Gate Vergnügungspark ins Leben gerufen haben, verhandeln derzeit mit dem Blue Gates Spielplatz für Große Kinder über die Rechte an ihrem Namen, doch der Knoten mit der etwas anders gearteten Zielgruppe stellt sich dem Vernehmen nach bis jetzt stur.
(Bild: Sal Chimura O’Meara, Eigentümer von Blue Gates Spielplatz für Große Kinder) O’Meara: »Soll das’n Witz sein? Dafür werden sie megamäßig abdrücken müssen, Baby. Dicke Kredite.«
> Der erzwungene Marsch die Treppe zum Glockenturm der sechs Schweine hinauf war nicht gerade vergnüglich. Die Banditen, die sie gefangengenommen hatten, waren nicht nur reichlich mit Schwertern und Messern bewaffnet, sondern hatten auch altertümliche Schießprügel – hießen die nicht Tromblons? überlegte Renie – mit weiten, glockenartigen Mündungen und gewundenen Formen, die zwar mehr nach Musikinstrumenten als sonst etwas aussahen, aber abgefeuert bestimmt eine schreckliche Wirkung hatten. Der Mann hinter ihr, der in einem fort kicherte und hickste, stieß ihr seine Waffe alle paar Schritte in den Rücken, so daß sie ständig das Gefühl hatte, das Ding werde beim nächsten Rempler losgehen und das werde dann das letzte sein, was sie in diesem Leben noch mitkriegte.
In gewisser Weise noch schlimmer war der Schnapsgestank, der über dem Räubertrupp hing wie ein Nebel. Der Rausch hatte alle in eine rohe Ausgelassenheit versetzt, einen jähzornigen Taumel, der den Eindruck machte, daß kein Kompromiß und kein Handel, einerlei wie einträglich für sie, sie interessieren konnte.
Das hielt Florimel nicht davon ab, es zu versuchen. »Wieso macht ihr das?« stellte sie den hünenhaften, bärtigen Anführer zur Rede. »Wir haben euch nichts getan. Nehmt euch, was ihr wollt, und laßt es gut sein, wobei wir nicht mal etwas haben, was sich zu stehlen lohnt.«
Der zahnlose Riese lachte. »Wir sind die Speicherspinnen. Wir entscheiden, was sich zu rauben lohnt. Und wir haben durchaus Verwendung für dich, Weiblein. Durchaus.«
Der Mann, der auf Renie aufpaßte, kicherte noch schriller. »Die Mutter«, sagte er wie zu sich selbst. »Es ist ihr Tag heute. Das Geburtstagsgeschenk für sie, das seid ihr.«
Renie unterdrückte einen Schauder. Die weite Mündung knuffte ihr abermals in den Rücken, und sie sprang förmlich die nächste Stufe hinauf.
Noch bevor sie den letzten Treppenabschnitt erklommen hatten, hörten sie ein Getöse über sich, das nach einem wilden Fest klang – mißtönendes Singen, eine kratzende Fidel, viele lärmende Stimmen. Der Glockenturm war ein großer sechseckiger Raum mit hohen Rundbogenfenstern, durch die an allen sechs Seiten der spätnachmittägliche Himmel zu sehen war. In jeder der sechs Ecken stand die Statue eines aufgerichteten Schweins in menschlicher Kleidung: eines war als gefräßiger Priester aufgemacht, ein anderes als aufgeputzte feine Dame, jedes der sechs anscheinend die satirische Darstellung eines menschlichen Lasters. Im Mittelteil des Daches hingen mehrere riesige Glocken, die völlig mit Grünspan bedeckt waren und den Eindruck machten, seit Jahren nicht mehr geläutet worden zu sein. Zwei oder drei Dutzend weiterer Banditen schwangen unter den Glocken das Tanzbein, tranken dazu aus Krügen oder Metallpokalen und brüllten Prahlereien oder Verwünschungen. Zwei Männer mit blutüberströmten Gesichtern rangen auf den steinernen Fliesen, und etliche andere standen dabei
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