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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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und sahen zu. Wenigstens ein Drittel der Feiernden waren Frauen, gekleidet im freizügig dekolletierten Stil einer Barockkomödie und genauso betrunken und gackernd und unflätig wie die Männer. Als die Zecher die Neuankömmlinge bemerkten, stießen sie johlende Freuden- und Begrüßungsschreie aus und umringten taumelnd die heimkehrenden Genossen und ihre Opfer.
    »Jiii, die sehn drall und knackig aus«, quiekte eine Schlampe und bohrte dabei der entsetzten Emily einen krummen Finger in die Rippen. »Auf, braten und fressen wir sie!«
    Während andere Beifall grölten – ein grober Scherz, betete Renie –, blies T4b sich auf wie ein Kugelfisch und stellte sich zwischen Emily und die Horde. Renie beugte sich vor und faßte ihn am Ellbogen, wobei sie versehentlich in die unter der Kutte verborgenen Stacheln griff. »Keine Dummheiten«, flüsterte sie und rieb sich dabei mit schmerzverzerrtem Gesicht ihre gestochene Handfläche. »Wir wissen noch nicht, was hier gespielt wird.«
    »Ich weiß, daß die ihre Dreckfinger bei sich behalten sollen«, knurrte der junge Bursche. »Sonst gibt’s was auf die Rübe.«
    »Du bist hier nicht in einer Spielwelt«, begann Renie, aber sie wurde von einer hohen, trägen Stimme aus dem Hintergrund unterbrochen.
    »Liebe Jungs und Mädels, ihr müßt jetzt mal zur Seite treten. Ich kann unsern Neuzugang gar nicht sehen. Macht Platz da. Grapsch, zeig her, was du und deine Haderlumpen mitgebracht haben.«
    Die abgerissene, stinkende Meute teilte sich, so daß Renie und ihre Freunde einen freien Blick auf die gegenüberliegende Seite des Glockenturms und die zwei dort sitzenden Personen bekamen.
    Zuerst dachte sie, die in dem hohen Lehnstuhl lümmelnde lange, dünne Figur sei Zekiel, der durchgebrannte Messerschmiedlehrling, aber die Blässe dieses Mannes kam von dick aufgetragenem Puder, das allerdings an Stirn und Hals schon weitgehend weggeschwitzt war, und das weiße Haar war eine leicht schief sitzende alte Perücke.
    »Die Mutter steh mir bei, das ist ja vielleicht ein komischer Haufen.« Die Garderobe des blassen Mannes war nicht neuer oder sauberer als die der anderen Banditen, aber aus Brokat- und Satinstoffen geschneidert, die bei seinen müden Bewegungen im Nachmittagslicht schimmerten. Er hatte ein schmales Gesicht, ganz hübsch, soweit Renie sehen konnte, aber mit stark rougeverkrusteten Wangen und einem schläfrigen, gleichgültigen Ausdruck. Ein kleinerer Mann in einem Harlekinkostüm hockte zusammengesunken auf einem Polster zu seinen Füßen und schien zu schlafen, den Kopf auf ein Bein des blassen Mannes gelegt. Die bunte Maske des Harlekins war nach unten gerutscht, so daß man durch die Augenlöcher nur die Backen sah. »Sei’s drum«, fuhr der zerlumpte Dandy fort, »komisch oder nicht, keiner sieht aus, als könnte er fliegen, sie werden also ihren Zweck erfüllen. Grapsch, du und deine Strolche wart sehr wacker. Ich habe vier Fässer vom Feinsten aufgehoben, nur für euch.«
    Renies Häscher gaben ein Freudengeheul von sich. Mehrere stürzten sofort auf die andere Seite des Glockenturms, um die Fässer zu öffnen, aber es blieben noch genug mit erhobenen Waffen da, um jeden Gedanken an einen Fluchtversuch im Keim zu ersticken.
    Der maskierte Harlekin wachte auf und drehte seinen Kopf hin und her, brauchte aber einen Moment, bis ihm aufging, warum er nichts sehen konnte. Mit der Konzentration eines Gehirnchirurgen führte er einen Finger an die Maske und schob sie die Nase hinauf, bis seine Augen in den Schlitzen erschienen. Die Augen verengten sich, und der Mann in dem buntscheckigen Clownskostüm setzte sich auf.
    »So, so«, sagte er zu Renie. »Ihr seid also immer noch auf eurer großen Tour, was?«
    Der blasse Mann im Lehnstuhl sah zu ihm herunter. »Kennst du die Opfer, Kunchen?«
    »Allerdings. Das heißt, wir sind uns schon mal begegnet.« Er nahm seine Maske ab, unter der schwarze Haare und asiatische Gesichtszüge zum Vorschein kamen. Renies erster grausiger Gedanke, man habe sie schnurstracks der Quan-Li-Bestie vorgeführt, blockierte zunächst ihre Erinnerung, wo sie das Gesicht schon einmal gesehen hatte.
    »Kunohara«, sagte sie schließlich. »Der Insektenfan.«
    Er lachte und klang dabei fast so betrunken wie die Räuber. »Insektenfan! Sehr gut! Ja, das bin ich.«
    Der Bläßling setzte sich ein bißchen gerader hin. Seine Stimme hatte einen drohenden Unterton, als er sagte: »Dieses Gerede ermüdet mich, Kunchen. Wer sind diese

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