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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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den Rand hinein.
    Bloß keine Erdberührung mehr. Seine Gedanken waren durcheinander wie ein vom Tisch gewischtes Kartenspiel. Etwas Großes. Totes. Aber jetzt kann es mich nicht mehr finden. Es war unglaublich erschütternd gewesen, was es auch sein mochte – konnte eine bloße Simulation so etwas bewirken?
    Er nahm eines der im Boot liegenden Ruder und paddelte auf das weindunkle Meer hinaus. Als er sich umdrehte, konnte er vom Strand nur mehr die ersterbende Flamme seines Feuers erkennen. Falls Penelope und Eurykleia noch dort waren, hüllte die Dunkelheit sie ein.
    Die immer höher werdenden Wellen hoben den Bug des kleinen Bootes mit jedem Anrollen in die Höhe und ließen ihn dann mit lautem Klatschen wieder fallen. Paul legte das Ruder beiseite, um sich an den Bootswänden festzuhalten.
    Troja, dachte er, während er krampfhaft versuchte, mit nüchternen Überlegungen dem übermächtigen Grauen zu trotzen. Ein schwarzer Berg. Gibt es in der Nähe von Troja einen Berg …?
    Die nächste Woge warf ihn beinahe über Bord, und er klammerte sich noch fester an das Boot. Obwohl keine Wolken am Himmel waren, nichts zwischen ihm und den diamanthellen Sternen, droschen die Wellen immer heftiger auf den kleinen Nachen ein. Eine riß mit einem mächtigen Schwung das ganze Boot hoch und höher, bis er dachte, gleich würde es kentern und ihn ins Wasser befördern. Als er auf dem Wellenkamm langsam abkippte, sah er vor sich eine unnatürlich geformte Woge aufsteigen, höher als alle anderen, eine dunkle, an den Rändern lumineszierende Masse, in der das Meer selbst die Gestalt eines bärtigen Mannes mit einer Krone annahm, zehnmal größer als er. Einen Moment lang meinte er, das »andere« Wesen, von dem der Engel gesprochen hatte, habe ihn gefunden, und er gab alle Hoffnung auf.
    Eine donnernde Stimme ließ seine Schädelknochen erzittern. »Listenreicher Odysseys«, dröhnte sie, »Sterblicher, du weißt, daß ich, Poseidon, geschworen habe, dich zu vernichten. Dennoch verläßt du die Sicherheit deiner heimischen Insel und begibst dich abermals in meinen Machtbereich. Du bist ein Narr. Du hast wahrlich den Tod verdient.«
    Der große Meereskönig hob die Hand. Die Wellen, die daraufhin auf Pauls zerbrechliches Boot zurasten, waren berghoch. Es stieg zuerst langsam empor, dann wurde es mit einem jähen Ruck hoch in die Luft geschleudert.
    Er klammerte sich an die wirbelnde Nußschale und konnte dabei nur einen einzigen Gedanken fassen: Ich bin ein Narr, das stimmt – ein hirnverbrannter Idiot …
    Als er hinunter ins Wellental stürzte und dort aufschlug, schien das Meer hart wie Stein zu sein. Sein Boot zerbarst in Stücke, und Paul wurde in die zermalmende, nasse Schwärze hinabgezogen.

Eins
In Träumen gefangen
    »Da die Menschen … unterschiedlicher Art sind, sollten wissenschaftliche Wahrheiten auch in unterschiedlicher Form dargestellt werden und als gleichermaßen wissenschaftlich gelten, ob sie nun in der handfesten Form und den kräftigen Farben eines physikalischen Beispiels oder in der Zartheit und Blässe einer symbolischen Formulierung erscheinen.«
     
    James Clerk Maxwell, Ansprache von 1870 vor der Britischen Akademie der Wissenschaften.

Kapitel
Fremde unter sich
    NETFEED/NACHRICHTEN:
    Netzrebell hält die »digitale Klassenschranke« weiterhin für ein Problem
    (Bild: afrikanische Schulkinder vor einem Wandbildschirm)
    Off-Stimme: Ansel Kleemer, ein »altmodischer Revoluzzer«, wie er sich selbst tituliert, dessen Lebensinhalt es sei, den wirtschaftlich und politisch Mächtigen ein Dorn im Auge zu sein, will mit einer neuen Protestaktion die Aufmerksamkeit der UNComm auf die »digitale Klassenschranke« lenken, die nach Kleemers Ansicht dabei ist, sich zu einer dauerhaften Kluft in der Weltgesellschaft zu verfestigen.
    (Bild: Kleemer in seinem Büro)
    Kleemer: »Es ist eigentlich ganz einfach – das Netz reproduziert die weltwirtschaftliche Ungleichheit, das Gefälle zwischen den Besitzenden und den Habenichtsen. Früher einmal dachten die Leute, die Informationstechnologie würde allen Vorteile bringen, aber mittlerweile ist klar, daß, wenn sich die Dinge nicht ändern, das Netz weiterhin nach dem gleichen Prinzip funktionieren wird wie alles andere: Wenn du’s dir leisten kannst, kriegst du’s. Wenn nicht, kannst du zusehen, wo du bleibst.«
     
     
    > Es war nur eine Hand, die mit gekrümmten Fingern aus der Erde stieß wie eine rosigbraune Sukkulente, aber sie wußte, daß es die Hand ihres

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