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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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als wollte sie sich begraben. Er zog sie hoch, teils um ihr zu helfen, aber teils auch aus Wut darüber, daß ihre Halsstarrigkeit ihn an diesen Punkt gebracht hatte. »Schau hin! Das ist sie!« schrie er den Rauchengel an. »Du hast mich zu ihr geschickt, aber sie kann mir nicht sagen, wo ich hinsoll. Ich wollte, daß sie mir erklärt, wie ich zu dem schwarzen Berg komme.«
    Die Erscheinung war so wenig bereit wie Penelope, ihrem Double in die Augen zu blicken: Als Paul seine verhinderte Gemahlin in ihre Richtung stieß, zuckte die Engelsgestalt zurück, so daß eine Welle durch ihren ganzen Körper lief und ihre Flügel verwackelten. »Wir können nicht …« Das Gesicht aus Rauch verformte sich. »Wir dürfen nicht …«
    »Mach einfach, daß sie es mir sagt. Oder sag du es mir! Ich halte das nicht mehr aus!« Paul spürte eine stärker werdende Kraft unter den Füßen und gleichzeitig hinter den Augen, einen ringsherum anwachsenden Druck, der förmlich die Luft zu sprengen schien. »Wo ist dein gottverdammter schwarzer Berg?« Er schubste Penelope abermals auf die Erscheinung zu, aber es war, als wollte er zwei sich abstoßende Magneten mit Gewalt zusammenbringen. Penelope riß sich mit tierischer Stärke von ihm los und stürzte weinend in den Sand.
    »Sag’s mir!« brüllte Paul. Er wandte sich an den Engel. »Warum sagt sie es mir nicht?«
    Der Schemen löste sich langsam auf. »Sie hat es dir gesagt. Sie hat dir, was sie weiß, in der einzigen Weise gesagt, die ihr möglich ist. Deshalb habe ich dich zu ihr geschickt. Sie ist diejenige, die weiß, was du als nächstes tun mußt.«
    Paul haschte nach ihr, doch die Engelsgestalt war tatsächlich aus Rauch: sie zerrann zwischen seinen zupackenden Fingern. »Was soll das heißen?« Er drehte sich um und ergriff statt dessen Penelope, schüttelte sie. Sein Zorn drohte zu explodieren, die kaum noch zu haltende Spannung der Nacht war wie ein großer dunkler Blutklumpen in seinem Kopf. »Wohin soll ich gehen?«
    Penelope schrie vor Qual und Entsetzen auf. »Warum tust du mir das an, Odysseus?«
    »Wo soll ich hin?«
    Sie weinte und schlotterte. »Nach Troja! Du mußt nach Troja! Deine Gefährten erwarten dich dort!«
    Paul ließ sie los und taumelte zurück, als ob ihn ein Stein getroffen hätte. Die Erkenntnis schnitt ihm wie ein Messer durchs Herz.
    Troja – das einzige, was sie gesagt hatte, das nicht das Ende der Geschichte signalisierte, die einzige Antwort, die nicht zu der übrigen Simulation paßte. Durch die Wolke des inneren Aufruhrs hindurch, ausgelöst durch sein Kommen, hatte Penelope ihm die ganze Zeit über mitgeteilt, was er wissen mußte … aber er hatte nicht hingehört. Statt dessen hatte er sie hierhergeschleppt, die Frau, die er so sehr gesucht hatte, und sie unbekümmert um sein Versprechen, ihr werde kein Leid geschehen, unbarmherzig gequält. Er hatte eine Kraft angerufen, der keiner von ihnen zu begegnen wagte, obwohl sie ihm bereits mehrmals die Auskunft gegeben hatte, die ihr anderes Ich ihm nicht geben konnte.
    Was es auch sein mochte, das er aus den dunklen Tiefen heraufbeschworen hatte, das Ungeheuer war er selber.
    Mit tränenblinden Augen kehrte Paul dem Feuer den Rücken zu und wankte über den Sand davon, auf den er eben noch getrommelt hatte. Er stolperte über die zusammengekrümmt daliegende Eurykleia, aber blieb nicht stehen, um festzustellen, ob sie lebendig oder tot war. Das Ding, vor dem sich sogar die geflügelte Frau gefürchtet hatte, war jetzt ganz nahe, qualvoll nahe, so nahe wie sein eigener Herzschlag.
    Er sucht nach mir, hat sie gesagt. Er stolperte abermals und fiel hin, und torkelnd wie ein Betrunkener rappelte er sich wieder auf. Den Unterirdischen nennen sie ihn. Er konnte die atmende Lebendigkeit der Erde unter sich spüren. Ein Teil von ihm, ein winzig kleiner, ferner Teil, protestierte schrill, es sei alles bloß Einbildung, er dürfe nicht vergessen, daß er sich in einem großangelegten virtuellen Spiel befand, aber das war wie eine Kinderflöte in einem Orkan. Jedesmal, wenn seine Füße den Boden berührten, fühlte er die Gegenwart des dunklen Unbekannten mit so schmerzhafter Intensität, als ob er auf einer heißen Herdplatte liefe.
    Ein jäher Einfall veranlaßte ihn, den Strand hinunter zu den Fischerbooten zu eilen. Er griff sich das erste, schob es über den glitschigen Sand und fluchte wie von Sinnen, wenn es kurz steckenblieb. Zuletzt schwamm es frei im flachen Wasser, und er wälzte sich über

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