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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Schultertuch und die noch dunkleren Haare, deren wenige graue Strähnen im Sternenlicht nicht zu sehen waren, faßten das bleiche, mißtrauische Gesicht mit einem Schattenrahmen ein. Ihre großen, wie ausgeschnittenen Augen schienen Blicklöcher in die Nacht zu sein.
    Die Dienerin reichte Paul ein Bronzemesser, das in ein Stück Tuch gewickelt war. Auch er hatte ein Bündel dabei, aus dem er die dürren Hinterläufe eines geschlachteten schwarzen Schafes auspackte, den Lohn, den er sich von Eumaios’ Schwager damit verdient hatte, daß er einen Nachmittag lang eine Hürde ausgebessert hatte. Es erschien Paul als ein armseliges Opfer, aber Eumaios – der seine erste Adresse gewesen war, weil er an Schweinefleisch als Opfergabe gedacht hatte – hatte ihm versichert, ein schwarzer Schafbock sei das einzige, was in Frage komme, und Paul hatte sich dem zweifellos überlegenen Wissen des Mannes gebeugt.
    Während Penelope mit bangem Schweigen zusah, häufte Paul Stöcke auf das Feuer und schnitt dann Fleisch und Fett von den Schenkeln des Schafbocks herunter, wie Eumaios es ihm erklärt hatte. Er legte die Knochen auf den Stockhaufen und darüber das Fleisch und das Fett. Gleich darauf stiegen dicke Rauchwolken von dem Opferfeuer auf, und als der Wind wechselte, bekam er nicht nur den verlockenden Duft von bratendem Fleisch in die Nase, sondern auch etwas Tieferes, Älteres und weitaus Verstörenderes – den Geruch von Brandopfern, von angstvoll bezahlter Schuld, von menschlicher Unterwerfung unter ein übermächtiges und mitleidloses Universum.
    »Ich verstehe das nicht«, hauchte Penelope. Ihre großen Augen verfolgten jede seiner Bewegungen, als ob er ein wildes Tier wäre. »Was machst du da? Warum sollte ich herkommen?«
    »Du denkst, du kennst mich nicht«, erwiderte Paul. Er versuchte einen ruhigen Ton zu bewahren, aber er begann eine merkwürdige Begeisterung zu fühlen, womit er überhaupt nicht gerechnet hatte. Der Traum vom armen, toten Gally, die prasselnden Flammen am windigen Strand, die Nähe der Frau, deren Gesicht so lange sein einziger Talisman gewesen war, dies alles zusammen gab ihm das Gefühl, endlich auf der Schwelle zu etwas Realem, etwas Entscheidendem zu stehen. »Du denkst das, aber die Götter werden dir dein Gedächtnis zurückgeben.« Er war sich jetzt sicher, daß er das Richtige tat. Das ekstatische Glühen in seinem Kopf bewies es. Schluß damit, sich treiben zu lassen! Jetzt bezwang er die Simulation mit ihren eigenen Mitteln und machte sie sich dienstbar. »Sie werden jemand senden, und sie wird dir helfen, dich zu erinnern!«
    »Du machst mir angst.« Penelope wandte sich Eurykleia zu, und Paul hoffte, diese würde ihr begütigend zureden, aber die Dienerin blickte genauso unglücklich wie ihre Herrin.
    »Dann sag mir einfach, was ich wissen muß.« Paul trat vom Feuer zurück und breitete die Arme aus. Der Wind blies durch sein dünnes Gewand, aber er fühlte nur die Hitze der Flammen. »Wer bist du? Wie sind wir hierhergeraten? Und wo ist der schwarze Berg, von dem du mir erzählt hast?«
    Sie starrte ihn an wie ein in die Enge getriebenes Tier.
    Es fiel ihm schwer, geduldig zu bleiben, am liebsten hätte er geschrien. Er hatte so lange gewartet, war von einem Ort zum anderen gestoßen, gezerrt und geworfen worden, immer der Passive, immer der Ausgelieferte. Er hatte hilflos daneben gestanden, als der Junge, sein einziger wirklicher Freund in diesem bizarren Universum, vor seinen Augen getötet wurde. Jetzt sollte diese Hilflosigkeit ein für allemal ein Ende haben. »Erzähl mir einfach von dem schwarzen Berg! Wie kann ich ihn finden? Weißt du nicht mehr? Deswegen bin ich hier. Deswegen hast du mich hierhergeschickt!«
    Sie duckte sich noch mehr zusammen. Ein Funkenflug stob aus dem Feuer auf und wirbelte auf dem Wind davon.
    »Nicht? Na gut, dann muß ich die Götter anrufen.« Er würde die Logik ihrer eigenen Welt gegen sie kehren. Er würde eine Erscheinung heraufbeschwören.
    Als er sich in den Sand kniete, meldete sich Eurykleia nervös zu Wort. »Das ist Schaffleisch, nicht wahr, Herr? Sicher doch ein schwarzes Mutterschaf, oder, Herr?«
    Er begann, mit beiden Händen einen langsamen Rhythmus auf den Boden zu schlagen, wie der alte Eumaios es ihm beschrieben hatte. »Es ist ein Bock. Still jetzt, ich muß mich auf den Spruch besinnen.«
    Die Dienerin war aufgeregt und erschrocken. »Aber so etwas ist ein Opfer an …«
    »Psssst.« Er verlangsamte seine Schläge auf den

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