Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
schillernden Luftbildern saßen. Dieser ganze Blinkeblinkeblödsinn war schuld, daß sein Sohn nicht mehr da war. Wozu sollte das nutze sein? Nicht mal richtig tot wurde einer davon, so wie seine Frau von dem Feuer, so daß man ihn begraben und irgendwie damit fertig werden konnte. Statt dessen wurden die Leute zu Apparaten gemacht, zu Apparaten, die nicht mehr funktionierten, aber die man dennoch nicht ausstöpseln durfte. Der dicke Mann machte ein großes Getue um seine Spielsachen, aber die ganze Sache hinterließ in Josephs Mund einen sauren Geschmack, den kein Fruchtbier der Welt wegbekam. Als Studentin hatte Renie versucht, ihm solchen Quatsch nahezubringen, hatte ihn ganz aufgeregt ins Unilabor geschleift, um ihm vorzuführen, wie die Sachen gemacht wurden, die er sich im Netz anguckte, doch selbst damals war ihm das alles merkwürdig und verwirrend gewesen, und es hatte ihm nicht gepaßt, daß seine junge Tochter ihm so viele Sachen zeigte, von denen er keine Ahnung hatte. Jetzt, wo er dadurch Stephen verloren hatte – und Renie letztendlich auch –, war sein Interesse so gut wie null. Das alles machte ihm Durst und sonst gar nichts.
»Joseph!« Del Rays Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. »Kannst du mal herkommen?«
Long Joseph merkte, daß er minutenlang mitten im Raum gestanden und ins Leere gestarrt hatte, schlaff wie eine Stoffpuppe. Was wird bloß aus mir? dachte er. Ich könnte grad so gut tot sein. Nix im Sinn als trinken, trinken.
Selbst diese Erkenntnis hatte nur zur Folge, daß er noch mehr nach etwas zu trinken lechzte.
»He«, sagte Del Ray, als er näher trat. Sein schmales Gesicht war von einem Hologramm des Elefanten ganz bunt geschminkt. »Ich dachte, du hättest gesagt, dieses Ding wäre mordsgeheim, dieser Militärstützpunkt.«
Joseph zuckte mit den Achseln. »So hat’s mir Renie erzählt.«
Der Elefant blickte von einem leuchtenden Schlangennest von Daten auf. »Nennt sich ›Wespennest‹, nicht ›Bienenstock‹.«
»Ja, stimmt.« Joseph nickte. »Jetzt fällt’s mir wieder ein.«
»Tja, es ist geheim, aber irgendwer will’s anscheinend genauer wissen.« Die fleischige Hand des Elefanten machte eine Geste, und ein weiteres Gewimmel von Formen, Zahlen und Worten erschien vor ihm in der Luft. »Siehst du? Ganz vorsichtig und diskret kratzt da jemand von außen dran rum und stellt Nachforschungen an.«
Joseph beäugte kritisch das Hologramm, das ihm so wenig sagte wie ein modernes Kunstwerk der aggressivsten Sorte. »Das muß diese Französin sein – wie hieß sie noch? –, diese Martine. Sie war ständig zugange, alles für Renie herzurichten. Und noch so’n alter Mann, mit dem sie geredet haben, der auch.«
»In den letzten paar Tagen?«
»Keine Ahnung.« Er zuckte abermals mit den Achseln, aber hatte ein flaues Gefühl im Magen, als ob das Bier mit dem Fruchtgeschmack nicht ganz in Ordnung gewesen wäre. »Aber eigentlich waren sie mit dem Kram vor ’ner ganzen Weile schon durch. Diese Martine, sie is mit Renie und diesem kleinen Buschmann mit, was weiß ich wohin und wozu.«
»Tja, irgendwer schnüffelt rum.« Der Elefant lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Checkt die Datenleitungen, prüft die Verbindungen.« Er legte die Stirn in Falten. »Gibt’s da Fone?«
»Ich glaub ja. Doch, die alte Sorte, die wo man sich an den Mund hält.«
»Ich denke, jemand versucht anzurufen.« Der Elefant drehte sich schief grinsend zu Del Ray um. »Ich hab dir deine Landkarten besorgt, Mann, aber ich bin voll froh, daß ich da nicht hin muß.« Er wedelte mit dem Arm, und die bunten Bilder verschwanden so prompt, daß ein dunkles Loch in der Luft zurückblieb, wo sie gewesen waren. »Ich sag dir eins: Es gibt nichts Schlimmeres, als mit Geheimnissen rumzumachen, die keine richtigen Geheimnisse mehr sind.«
> Die Schwäche und Demütigung, die er empfand, hatte ihn nicht abgehalten, herzukommen. Selbst er mußte sich manchmal Erleichterung verschaffen.
Er schloß die Augen und fühlte das linde Fächeln der Luft, mit dem die stummen Sklaven und ihre Palmwedel bereits seine Entspannung besorgten. Das Lustschloß der Isis war immer kühl, eine Erholung von der Wüste, vom Lärm des Palastes, von den Strapazen der Herrschaft. Er fühlte, wie ein Teil von ihm, ein stählerner, kalter Teil, sich dem Bedürfnis loszulassen widersetzte. Es war schwer, diesen Teil abzustellen – die Gewohnheit, völlig autark zu regieren, niemandem seine Gedanken
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