Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
hatten.
»Elefant!« Joseph schüttelte den Kopf. »Was’n das für’n Name? Ich will doch nich in’n Zoo.«
Del Ray seufzte. »Sehr witzig.«
»Ich hab in der Schule einen Elefant gemalt, Onkel Del«, teilte das Mädchen neben ihm mit. »Ich hab ihn ganz grün gemalt, und die Lehrerin hat gesagt, das wär nicht richtig.«
»Deine Lehrerin is bescheuert, Kind«, rief Long Joseph über die Schulter. »Die Schulen sind voll von Leuten, die keine anständige Arbeit kriegen können und meinen, sie wüßten alles besser. Du kannst deinen Elefant bunt malen, wie du willst. Das kannst du deiner Lehrerin von mir ausrichten.«
»Hör zu«, knurrte Gilbert, während der Wagen auf alten Stoßdämpfern schaukelnd eine enge Kurve nahm, »du hast meiner Tochter keine Aufsässigkeit gegen ihre Lehrerin einzureden. Wenn du mit meinem Bruder rumrennst und Johnny Icepick spielst, ist das deine Sache, aber laß meine Kinder in Ruhe.«
»Ich sag ihr bloß, daß sie sich nix gefallen lassen soll.« Joseph war tief gekränkt. »Mach nich mich an, bloß weil du nich deine Pflicht tust.«
»Herrgott nochmal!« bellte Del Ray. »Seid ihr jetzt endlich still!«
Gilbert ließ sie vor der Tür des Elefanten raus, der in einem Lagerhochhaus vom Anfang des Jahrhunderts wohnte, einem häßlichen Kasten aus abwechselnd braunen und grauen Betonblöcken. Bei dem dunklen Himmel und dem kalten Regen fand Joseph es beinahe so deprimierend wie das Krankenhaus. Del Ray legte den Daumen auf den Öffner, und die Haustür ging mit einem lauten Klicken auf.
Es gab keinen Fahrstuhl, und Joseph schimpfte den ganzen Weg bis in den dritten Stock. Neben einigen der weit auseinanderliegenden Türen waren kleine Namensschildchen angebracht, aber viele andere waren kahl. Dennoch hatten alle Türen zusätzliche Sicherheitsschlösser, und manche waren derart mit Ketten und Hochdruckriegeln bestückt, daß es aussah, als müßten dahinter schreckliche Monster eingesperrt sein.
»Was nützt dir das, wenn de drin bist?« fragte Joseph. »Wie willste den ganzen Krempel abschließen?«
»Das ist kein Mietshaus, es ist ein Speicher.« Del Ray schnaufte nach dem Treppensteigen nur geringfügig weniger als Joseph. »Da wohnen keine Leute drin, das soll verhindern, daß Fremde reinkommen.« Er berichtigte sich, als sie vor einer der kahlen, namenlosen Türen stehenblieben. »In den meisten wohnen keine Leute.«
Auf sein Klopfen hin sprang die Tür fast augenblicklich auf. Drinnen war es ziemlich dunkel, so daß Joseph Del Ray vorgehen ließ und wartete, bis seine Augen in der Düsterkeit etwas erkennen konnten.
»Was is das hier?« fragte er. »Sieht total altmodisch aus.«
Del Ray warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. »Es gefällt ihm so. Fang bloß nicht wieder mit deiner üblichen charmanten Art an, hörst du? Er tut uns einen Gefallen – hoffe ich jedenfalls.«
In dem weitläufigen, fensterlosen Raum fühlte man sich tatsächlich ein wenig in eine der Netzserien aus Josephs Jugend versetzt, eine von diesen Science-Fiction-Faxen, die er immer verachtet hatte. Es sah aus wie in einer vergammelnden Raumstation oder im Labor eines wahnsinnigen Wissenschaftlers. Jede freie Fläche war mit Apparaten vollgestellt, und auch sonst hatten sie den Raum komplett erobert, hingen in Netzen von der Decke oder standen zu abenteuerlichen Stapeln aufgetürmt auf dem Boden. Alles war mit allem verbunden zu einem großen Stromkreis mit Tausenden von verschiedenen Leitungen; riesige Kabelbündel lagen fast überall herum, so daß man kaum irgendwo hintreten konnte. Auch wenn nur eine normale Lichtquelle in der Mitte brannte, eine hohe Stehlampe mit einem gebogenen Schirm, gab es so viele kleine rot blinkende Anzeigelichter und so viele blaß schimmernde Skalen und Zähler, daß der höhlenartige Raum glitzerte wie ein Weihnachtsschaufenster auf der Golden Mile.
Im Lampenschein stand ein uralter Fernsehsessel, von dem sich schon das Leder abschälte. Ein schwergewichtiger schwarzer Mann in einem gestreiften Stahlwollpullover, den Schädel kahl rasiert bis auf ein Haarbüschel, das an einen Schopfadler erinnerte, saß darin, über einen niedrigen Tisch gebeugt. Er blickte sich kurz nach ihnen um, bevor er sich wieder seiner Beschäftigung zuwandte. »Del Ray, voll irre, daß du angerufen hast«, sagte er mit einer kindlich hohen Stimme. »Grade hab ich an dich denken müssen.«
»Tatsächlich?« Del Ray bahnte sich einen Weg durch die anscheinend wahllos
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