Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
verbirgt ein Herz, das schwarz und treulos ist.«
»Es tut immer wohl, mit dir zu sprechen«, sagte er. »Es ist ein viel zu riskantes Spiel, diese Waffe Wells … ich meine Ptah … in die Hand zu geben. Er wird sie bestimmt gegen mich einsetzen – die Frage ist nur, wann. Wenn man einem Mann die Ewigkeit einräumt, hat er viel Zeit zu intrigieren.«
»Dein Wohlgefallen an mir macht mich glücklich, mein Gebieter.« Sie legte den Kopf auf seinen Schenkel.
Er streichelte geistesabwesend ihr Haar, während er darüber nachdachte, wie er seine Machtposition festigen konnte. »Jiun Bhao wird nicht der einzige sein, der auf Nummer Sicher gehen möchte«, murmelte er so gut wie unhörbar vor sich hin und vergaß dabei einen Augenblick lang, daß seine Gespielin sowenig seine Gedanken lesen konnte wie ein richtiger Mensch. Er drehte sich um und sprach direkt zu ihr. »Ich selbst werde mit Jiun … mit dem weisen Thot, wollte ich sagen … abwarten, was geschieht. Wenn der Andere sich als unzuverlässig erweist – nun, dann werde ich eine Notlösung bereit haben, und Thot und ich werden das Problem gemeinsam meistern. Wenn die andern deswegen zu leiden haben oder gar die Zeremonie nicht überleben …« Er gestattete sich ein eisiges Lächeln. »Dann werden Thot und ich ihr Opfer zu ehren wissen.«
»Du bist so klug, mein Gemahl.« Isis rieb ihre Wange an seinem Bein wie eine Katze.
Mit der Wiederkehr des Selbstvertrauens verspürte Osiris auf einmal eine Regung, die er seit vielen, vielen Jahren nicht mehr gehabt hatte. Er ließ seine Finger den Schwung ihres Halses nachfahren und dann weiter die rauhe Weichheit ihres Kleides fühlen. Er hatte den physischen Akt seit fast einem Jahrhundert nicht mehr vollzogen, und alle virtuellen Vitalisierungstechniken hatten den Trieb nach dem Erlöschen der natürlichen Virilität nur um wenige Jahrzehnte verlängern können. Es war seltsam, ihn wieder zu spüren.
Dabei bin ich so ein alter Mann, dachte er. Es lohnt sich doch kaum – der ganze Schweiß, die ganze Anstrengung, und wofür?
Doch obwohl in seinem realen Körper nichts geschah als ein schwaches elektrochemisches Funken vom Gehirn zu den Ganglien und zurück, fühlte er dennoch den so gut wie vergessenen Druck im Hinterkopf und beugte sich vor, um die himmlische Isis in den Nacken zu küssen. Sie schlug strahlend die Augen zu ihm auf. »Du bist stark, mein Gebieter, und schön in deiner Hoheit.«
Er sagte nichts, aber ließ sie gewähren, als sie wieder auf die Liege stieg und sich an ihn schmiegte, ihre Brüste sanft gegen seine bandagierten Rippen drückte und ihn in eine Wolke süßer Düfte einhüllte. Sie hatte den Mund an seinem Ohr, atmend, murmelnd, summend, beinahe singend. Er vergaß sich im Muschelgeflüster ihrer Zärtlichkeiten, bis ihre Stimme, ihre leisen, unverständlichen Worte und alles andere mehr und mehr im Aufwallen seines Blutes untergingen. Nur nicht die Melodie …
Seine Hand, die sanft ihr Handgelenk umfaßt hielt, drückte plötzlich zu. Sie schrie auf, zunächst mehr vor Überraschung als vor Schmerz. »Mein Gebieter, du tust mir weh!«
»Was ist das für ein Lied?«
»Lied?«
»Du hast gerade gesungen. Was war das? Sing es so, daß ich es hören kann.«
Die Augen vor Schreck über seinen schroffen Ton weit aufgerissen, schluckte sie. »Ich habe nicht …«
Er schlug ihr ins Gesicht, daß ihr Kopf nach hinten flog. »Sing!«
Mit versagender Stimme und glitzernden Tränen auf den Wangen gehorchte sie.
»… Ein Engel hat mich angerührt,
Ein Engel hat mich angerührt,
Der Fluß hat mich gewaschen
Und mich rein und hell gemacht …«
Sie stockte. »Mehr weiß ich nicht, mein Gebieter. Warum bist du so zornig auf mich?«
»Wo hast du das her?«
Isis schüttelte den Kopf. »Ich … ich weiß es nicht. Es ist nur ein Lied, wie meine Mägde es singen, ein hübsches kleines Lied. Die Worte kamen mir einfach in den Sinn …«
Vor Wut und Bestürzung schlug er abermals zu, und sie flog von der Liege auf den Fußboden, doch die stillen Sklaven änderten ihren Rhythmus nicht, und die Palmwedel gingen weiter langsam auf und nieder. Isis sah entsetzt zu ihm hoch. Er hatte diesen Ausdruck bei ihr noch nie gesehen, und er brachte ihn beinahe so sehr aus der Fassung wie das Lied.
»Wie kannst du das kennen?« tobte er. »Wieso kennst du das? Du bist nicht mal ein Teil des Gralssystems – du bist abgeschottet, dicht, ein dediziertes Environment, auf das niemand sonst Zugriff hat.
Weitere Kostenlose Bücher