Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
mitzuteilen, war sehr hartnäckig und jetzt in diesen letzten Tagen wichtiger denn je –, doch selbst er konnte nicht immer nur hart sein. Immerhin hatte er sich diesmal mit seinem Kommen lange Zeit gelassen.
Auch mit geschlossenen Augen wußte er, daß sie gekommen war, spürte ihre Anwesenheit wie eine kühle Hand auf der Stirn. Ihr Duft, der hier in ihrem Raum schon vorher stark gewesen war, wurde noch betörender, Zedern und Wüstenhonig und andere, subtilere Gerüche.
»Mein Herr und Gebieter.« Ihre Stimme hatte den Klang feiner silberner Glöckchen. »Du beehrst mich mit deinem Besuch.« Sie stand in der Tür, schlank wie eine Gerte in einem langen Kleid aus heller, mondfarbener Baumwolle, barfuß. Ihr angedeutetes Lächeln berührte ihn so tief wie ein altes Lieblingslied, das man nach vielen Jahren wiederhört. »Wirst du eine Zeitlang bleiben?«
Er nickte. »Das werde ich.«
»Dann ist heute ein Freudentag.« Sie klatschte in die Hände. Zwei Sklavinnen, eine mit einer Karaffe und zwei Bechern, die andere mit einem Tablett voller Süßigkeiten, kamen leise und flink wie Schatten angehuscht. »Laß dich von mir verwöhnen, mein Gemahl«, sagte Isis. »Wir werden die Welt und ihre Sorgen für ein Weilchen vergessen.«
»Für ein Weilchen, ja.« Osiris lehnte sich zurück und gebot seinem inneren Aufpasser, Ruhe zu geben, während er zusah, wie die Göttin ihm einen Becher mit schäumendem, goldenem Bier einschenkte, jede Bewegung ein wortloses Gedicht.
»… Und so mußte ich bei meiner Rückkehr entdecken, daß diese beiden Schwachköpfe in meiner Abwesenheit einen richtigen Volksaufstand heraufbeschworen hatten – und um ihre Unfähigkeit zu verbergen, hatten sie obendrein noch den Tempel des Re geschändet und seine Wächter Dua und Saf getötet.«
»Dein Zorn muß groß gewesen sein, mein Gemahl.« Ihr mitfühlender Blick war vollkommen, nichts anderes als verständnisinniger Kummer über seinen Verdruß sprach daraus.
»Sie machen eine Zeitlang nähere Bekanntschaft mit den Strafprogrammen«, sagte er. Winzige Fältchen erschienen bei dem unbekannten Wort auf ihrer Stirn, aber sie ließ sich nicht davon ablenken, sein Knie zu streicheln. »Doch ich werde sie bald wieder entlassen müssen. Leider brauche ich sie noch, damit sie mir diesen Jonas finden.«
Isis schüttelte den Kopf, daß ihre seidigen blonden Haare wie ein Vorhang schwangen. »Es betrübt mich, daß du Diener haben mußt, die dein Mißfallen erregen, mein Gebieter. Aber noch trauriger stimmt mich die Vorstellung, daß andere gegen deine gnädige Herrschaft aufbegehren sollten.«
Osiris winkte ab. Hier an diesem sicheren Ort hatte er seiner Frau gestattet, ihm die Mumienbinden von den Händen zu wickeln, so daß die totenbleichen Finger mit den golden lackierten Nägeln zu sehen waren. »Dies alles ist es nicht, was mich wahrhaft beunruhigt. Leute, die den Mächtigen ihre Macht mißgönnen, gibt es immer – solche, die nichts Eigenes schaffen können, die nicht stark genug sind, sich zu nehmen, wonach sie begehren, aber dennoch meinen, die Starken wären verpflichtet, ihnen einen Teil abzugeben. Ob reale Bauern oder Automaten – codierte Simulationen –, es ist immer dasselbe mit ihnen.«
Ein leerer Blick trat kurz in ihr Gesicht, aber trotz der fremden Begriffe ließ Isis’ warmes Mitgefühl nicht nach. Ihre großen grünen Augen blieben immer auf ihn gerichtet, so wie eine Blume der Sonne folgt. Sie war die perfekte Zuhörerin, und das war kein Zufall: sie war eigens zu dem Zweck konstruiert worden. In ihrer hellen, zarten Schönheit hatte er Züge seiner ersten Frau Jeannette neu erstehen lassen, die seit über einem Jahrhundert tot war, und in ihrer selbstlosen Fürsorge hatte er gewissermaßen seiner Mutter ein Denkmal gesetzt, wobei er sich allein auf seine Erinnerungen verlassen hatte, um Isis mit diesen Eisenschatten auszustatten. Sie war gänzlich irreal, ein singuläres Stück Code, seine einzige unbedingt zuverlässige Vertraute. Sie verstand ihn vielleicht nicht, aber sie würde ihn nie verraten.
»Nein«, sagte er, »ich stehe an einem Scheideweg und muß eine schwere Entscheidung treffen. Die Ungeschicklichkeit meiner Diener ist nur ein kleines Ärgernis, das schnell aus der Welt geschafft war.« Er gönnte es sich, einen Moment lang mit stiller Befriedigung daran zurückzudenken, wie er auf dem Rücken des unsterblichen Vogels Benu in den Tempel des Re eingefallen war und den Aufstand mit einem Schlag
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