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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Seine Basaltmauern glühten im Fackelschein des mitternächtlichen Madrikhor, das Dach war mit fratzenhaften Gesichtern gespickt wie ein Nußeisbecher mit Nüssen. »Wir gehen in die verkehrte Richtung.«
    »Nö«, entgegnete sein unsichtbarer Begleiter. »Das ist das Scriptorium Arcanum, wo sie die Bücher mit Zauberformeln und so Zeug aufbewahren. Echt datenintensiver Betrieb, irrer Leihverkehr. Das Salpetriusding ist so ’ne Art Amtsschrieb, dafür müssen wir ins Scriptorium Civilis. Guck, da sind wir schon.«
    Ramsey hatte zuerst keine Ahnung, was Beezle meinte, da das Gebäude vor ihnen ausgesprochen winzig und selbst für diesen Teil von Madrikhor heruntergekommen war. Er ging ein paar Schritte näher, kniff die Augen zusammen und entdeckte die Tafel über dem Eingang - »Scrip or um«. Anscheinend hatten sie ein kleines Holzwurmproblem.
    Wie die meisten Gebäude in Madrikhor, vor allem nahe dem Stadtkern, war das Scriptorium innen größer, als es von außen den Eindruck machte, aber da es von außen geradezu hundserbärmlich klein war, war das kein großes Kunststück. Hinter der Tür kam ein dunkler, von wenigen kümmerlichen Lampen erhellter Raum, dessen vom Boden bis zur Decke reichende Bücherregale mit Schriftrollen und gebundenen Folianten in allen erdenklichen Verfallsstadien vollgestopft waren.
    Die altertümliche Erscheinung hinter dem Tisch am Eingang brauchte so lange, um auf seine Frage zu reagieren, daß Ramsey sie zunächst für einen unbelebten Sim hielt. Als das hagere, bärtige Wesen sich schließlich rührte, sich streckte, gähnte, sich an mehreren Stellen kratzte und dann auf eine kleine Treppe am hinteren Ende des Raumes deutete, hätte man meinen können, ein mechanisches Aufziehspielzeug, dessen Feder abgelaufen war, in den letzten Zuckungen zu beobachten.
    »Du führst mich an die entzückendsten Plätze, Beezle«, subvokalisierte er.
    »Hä? Gefällt dir der Laden?« Anscheinend war der Agent nicht auf Sarkasmus programmiert.
    Der Scriptor, der im Keller Dienst hatte, stellte zunächst einen krassen Gegensatz zu seinem Kollegen oben dar. Jung, schlank, hochgewachsen, mit goldenen Haaren, spitzen Ohren und einem katzenartigen Gesicht war er ein Elfenprinz wie aus dem Bilderbuch, doch als er sich Ramseys Frage mit einem Blick stumpfen Desinteresses anhörte, fiel diesem auf, daß das Gesicht des Elfensims nicht ausgeprägter und individueller war als das eines Mannequins, so als hätte sich der Scriptor mit einem unmodifizierten Startset begnügen müssen.
    »Salpetrius?« Der Elfenprinz runzelte die Stirn wie eine Aushilfskraft an einem Fast-food-Büffet, die über die Herkunft des Containerfleischs Auskunft geben sollte. »Nie gehört. Da hinten irgendwo.« Er zeigte mit einem bleichen Daumen hinter sich auf einen schmalen Gang zwischen zwei schiefen Regalwänden. »Unter S wahrscheinlich. Andernfalls unter B, für ›Blaues Buch‹ …«
    Muß sich wohl bei minimaler Entlohnung langsam wieder in die Heldenklasse hochquälen, vermutete Ramsey.
    Der Kellerraum war eher noch dunkler und beengter als das kerkerähnliche Erdgeschoß. Ramsey mußte etliche Minuten lang in dem düsteren S-Gang herumspähen und -wühlen und dabei ein paar potentiell tödlichen Bücherlawinen ausweichen, bevor er den fraglichen Band fand, ein schmales Büchlein mit einem speckigen Ledereinband. Er hatte Glück, daß der Name »Salpetrius« groß auf dem Buchrücken prangte, denn um die Farbe erkennen zu können, hätte er erst mit ein paar Dutzend anderen Bänden ein Feuer entzünden müssen.
    Ramsey nahm es mit an den hellsten Fleck, der in dem Raum zu finden war. Der Scriptor hing schlaff hinter seinem Tisch, gaffte ausdruckslos ins Leere und klopfte mit einem spitzstiefeligen Fuß wohl den Takt zu irgendeiner mitreißenden Heldenhymne, die er allein hören konnte.
    Der Inhalt des Buches bestand aus extrem engzeiligem, unleserlichem handschriftlichen Gekritzel. Ramseys Verwunderung drohte schon in Ärger umzukippen, als ein viereckiges Stück Pergament herausglitt und zu Boden trudelte. Mit einem verstohlenen Blick auf den Scriptor hob er es rasch auf, doch Seine elfische Hoheit machten nicht den Eindruck, daß es ihr aufgefallen wäre, wenn Ramsey sich in ein Krokodil verwandelt und »Streets of Laredo« angestimmt hätte.
    »Geh durch die Hintertür«, stand auf dem Zettel. Ramsey verglich ihn mit der Notiz, die er in seiner Tasche gefunden hatte. Es sah aus, als ob beide von derselben Hand

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