Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
skeptischen Laut von sich, aber tat, was sie wollte, und faßte sie mit seinen Panzerhandschuhen am Handgelenk. Sie spürte ein Kribbeln von der Hand, die sich in der unfertigen Simwelt zeitweise in nichts aufgelöst hatte, doch ansonsten so stark und zupackend war wie die andere. Als sie das Fensterbrett losließ und sich frei baumeln ließ, blickte sie nach unten. !Xabbu wurde immer noch von dem Quan-Li-Monster am Dachrand festgehalten und mußte seine ganze Affenbehendigkeit aufbieten, um am Leben zu bleiben. Der Gegner drehte sich um und warf Renie einen kurzen, scheinbar beiläufigen Blick zu, dann zog er ein langes, häßliches Messer aus dem Gürtel, bevor er mit beängstigender Schnelligkeit wieder nach dem Pavian peitschte. !Xabbu hatte sich die Ablenkung zunutze machen wollen und war von der Brüstung gehopst, mußte jetzt aber wieder hinaufspringen. Die Stange zischte so knapp an ihm vorbei, daß Renie meinte, sie müsse sein Fell gestreift haben.
Konzentrier dich drauf, einen Halt zu finden, dachte sie, während sie über dem Schrägdach schwang. T4b hatte nur die niedrige Fensterbrüstung, um sich abzustützen, sie konnte daher nicht erwarten, daß er sich sehr weit hinauslehnte.
»Ich … ich …« T4b klang, als wäre ihm schlecht.
»Halt einfach fest.« Dabei konnte der Mörder !Xabbu schon in die Tiefe gestoßen haben und mit dem scharfen Messer unter sie getreten sein, wartend, grinsend …
Gar nicht dran denken!
Die verputzte Fassade des Hugolinusturmes hatte Risse, aber nichts, was ihr Gewicht gehalten hätte. Sie maß mit den Augen den Abstand zwischen ihren baumelnden Füßen und dem abfallenden Dach, wobei sie darauf bedacht war, nicht weiter als unmittelbar unter sich zu gucken. Es war im Grunde gar nicht so tief, und an der Stelle, wo das Dach an den Turm stieß, gab es mehrere Zierstäbe an der Fassade. Wenn sie vorsichtig sprang und sich an diesen Vorsprüngen festhielt, durfte eigentlich nichts passieren. Wenn es ein paar Meter weiter nicht steil in die Tiefe gegangen wäre, hätte sie keinen Moment gezögert.
»Ich faß jetzt dein Handgelenk und laß mich dann fallen«, sagte sie atemlos zu T4b. »Es ist nicht so tief. Aber laß es mich machen.«
»Das … das ist gefährlich, Renie.«
»Ich weiß.« Sie verkniff sich die bissige Erwiderung, und beruhigen konnte sie den jungen Mann jetzt auch nicht, ob Höhenangst oder nicht – überhaupt, wer mußte hier eigentlich springen? Sie umklammerte T4bs gepanzertes Handgelenk und spreizte die Beine, um sich besser auszubalancieren, dann ließ sie los. Die Turmmauer hatte eine leichte Neigung nach außen, durch die sie vom Dach kullern konnte, doch es gelang ihr, einen Fuß nach hinten zu strecken; als sie auf den Dachplatten aufschlug, grapschte sie nach den Zierstäben. Zu ihrer unendlichen Erleichterung hielten sie.
Sie blickte über die Schulter. Der Mörder beobachtete sie, während er gleichzeitig seelenruhig nach !Xabbu ausholte, aber er machte keinerlei Anstalten, sie aufzuhalten. Seine Gelassenheit war verblüffend, aber Renie wollte keine Zeit mit müßigen Überlegungen verschwenden. »Wirf mir den Speer runter«, rief sie T4b zu. Sie fing die Vorhangstange, drehte sich um und bewegte sich vorsichtig Schritt für Schritt die Schräge hinunter. Zwei Schornsteine standen in der Mitte des Daches wie einsame Bäume an einem Berghang, ansonsten aber konnte nur die einen halben Meter hohe Brüstung verhindern, daß sie in den Tod stürzte, sollte sie ausrutschen.
Sie versuchte, sich im Winkel auf ihren Gegner zuzubewegen, um ihn von !Xabbu abzudrängen, doch er blieb in Bewegung und schlug weiter mit der Stange nach !Xabbu , bis der Mann im Paviansim den nächsten atemberaubenden Sprung über die Kante machen mußte. Der Kerl machte sich ein Spiel daraus, die Mitte zwischen Renie und ihrem Freund zu halten. Er fing sogar an zu lachen.
Ihm macht das Spaß! begriff sie. Aber selbst wenn er fällt, stirbt er nicht, er wird lediglich offline befördert. Für uns wird es nicht so glimpflich abgehen.
Sie wagte einen zaghaften Angriff und stieß mit der scharfen Vorhangstange nach dem Quan-Li-Gesicht, aber der Mörder war erschreckend flink; er drehte sich zur Seite, haschte nach dem improvisierten Speer und hätte ihn Renie beinahe aus der Hand gerissen. Obwohl sie ihn wieder an sich bringen konnte, plumpste sie auf die Knie und mußte sich an den Dachplatten festhalten, um nicht wegzurutschen.
Sie robbte gerade rechtzeitig zurück,
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