Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
bleibt uns anderes übrig? Wir versuchen immer noch, aus alledem hier schlau zu werden. Wir haben das Feuerzeug und damit ein bißchen mehr Einflußmöglichkeiten als vorher, aber wir können damit sowenig das ganze System in die Knie zwingen, wie wir … äh, mit einem Schlüssel ein Haus einreißen können.«
»Ich glaube, die Situation ist komplexer«, sagte !Xabbu plötzlich. »Dieser Kunohara meinte, wir befänden uns in einer Geschichte. Ich verstehe nicht ganz, was das heißen soll, aber ich fühle, daß an seinen Worten etwas Wahres ist. Vielleicht ist ›Glaube‹ das Wort, das ich suche – wir müssen fest daran glauben, daß wir irgendwann Klarheit gewinnen werden.«
Renie schüttelte den Kopf. »Ich sehe keinen Unterschied zwischen deinem Glauben und dem, worüber Florimel sich beklagt, Warten und Hoffen. Du weißt, daß ich deine Sichtweise achte, !Xabbu , aber ich bin nicht wie du – ich glaube nicht, daß das Universum mich retten wird oder daß es überhaupt einen Sinn hat.«
Er lächelte traurig. »Das Universum hat sicher noch nie große Anstrengungen unternommen, meine Leute zu retten, Renie, ganz gleich, was sie geglaubt haben.« Seine Miene heiterte sich auf, und Renie fiel ein, daß sie sein menschliches Lächeln seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen hatte; der Anblick tat ihr wohl. »Aber du selbst hast vielleicht einen wichtigen Hinweis gegeben. Darin gleichst du wieder einmal dem geliebten Stachelschwein.«
Auch wenn er sich sonst an dem Gespräch kaum beteiligte, entfuhr T4b bei diesem Wort ein Schnauben. Auch Florimel war verdutzt. »Stachelschwein?«
»Großvater Mantis’ Schwiegertochter, die er von allen am meisten liebt«, erklärte !Xabbu . »Wo andere verzweifeln, sieht sie einen Ausweg. Renie weiß manchmal selbst nicht, wie wahrhaftig sie sieht.«
»Das reicht.« Renie war verlegen. »Was meinst du mit dem wichtigen Hinweis?«
»Du sagtest, wir könnten sowenig mit dem Gerät das System zerstören, wie man mit einem Schlüssel ein Haus vernichten kann. Aber ein Schlüssel kann ein Haus vernichten. Er schließt die Tür auf, und dann können andere eindringen, entweder Leute, die es ausrauben und verwüsten, oder Leute, die erkennen, was dort versteckt ist, und es ans Licht bringen.«
»Du meinst, wie Polizisten?« Sie war sich da nicht so sicher. »Na ja, falls wir hier jemals wieder lebend rauskommen und falls wir das Feuerzeug nicht verlieren, können wir es wahrscheinlich jemandem bei den UN oder so übergeben …« Aber bei der Erinnerung an Del Rays Verrat fiel es ihr schwer, großes Vertrauen darauf zu setzen.
»Es ist nur eine Idee«, sagte er. »Aber ich wollte damit sagen, daß es trotz allem Hoffnung geben könnte. Ob unsere Geschichte ein bereits feststehendes Ende hat oder nicht, wir können nur auf unser Glück vertrauen und handeln, wie es der Augenblick verlangt. Aber Hoffnung zu haben ist niemals verkehrt.«
Sie nickte. Zum erstenmal, seit sie das Haus verlassen hatten, schien der neue Sim wirklich der !Xabbu zu sein, den sie kannte und liebte. Und wenn wir nun für alle Zeit so leben müssen, ging es ihr durch den Kopf, im ständigen Wechsel der Körper? Würde das die Liebe erleichtern oder erschweren? Im Moment fühlte sie sich zu !Xabbu in einer Weise körperlich hingezogen, wie seine Paviangestalt es verhindert hatte, denn sein neuer Sim war jung und recht ansehnlich, und der wirkliche !Xabbu war deutlich darin zu spüren. Gleichzeitig regte sich dieses Verlangen in ihr, während sie selbst einen männlichen Körper hatte – eine Situation, die in gewisser Weise fast genauso entmutigend war wie vorher, als !Xabbu in dem Affensim herumgelaufen war.
Ich vermute mal, wenn ein Mann einen andern Mann liebt, gibt es dafür ungünstigere äußere Bedingungen als ein Heer im antiken Kleinasien, tröstete sie sich.
»Wer seid ihr?« rief plötzlich eine Stimme aus der Dunkelheit.
Renie schrak zusammen und rappelte sich hastig auf. In ihrer Gedankenlosigkeit hatten sie und die anderen völlig vergessen, daß sie an einem fremden Ort waren, in einer kriegführenden Stadt. Doch der Mann, der aus den Schatten am Rand des Gartens auf sie zugeschritten kam, war so groß und breitschultrig, daß sie einen Augenblick lang sicher meinte, einen bekannten Barbarensim vor sich zu sehen.
»Orlando? Bist du das?«
Der Mann, im Sternenlicht gerade eben zu erkennen, blieb stehen. »Ich kenne diesen Namen nicht, aber da ich den edlen Glaukos dort unter euch sehe und
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