Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
die beweisen wollten, daß sie keine Angst hatten. »Du hast ja Hektor gesehen – er hatte Zweifel an Martines Geschichte, aber er hatte keine Zweifel, daß sie seine Schwester war. Diese Replikanten müssen also sehr flexibel sein, in der Lage, sich auf Veränderungen einzustellen. Vermutlich knacke ich an dem Problem rum, wie bestimmt oder unbestimmt die ganze Sache ist. Mit andern Worten, wenn niemand von außen dazukäme, Leute wie wir oder die Gralsbruderschaft, würde dann einfach immer wieder dieselbe Geschichte wie ein Uhrwerk ablaufen? Geschehen Veränderungen nur dadurch, daß reale Personen in den Mix reinkommen? Oder ist es ein turbulentes System, so kompliziert, daß es niemals etwas zweimal machen kann, auch wenn gar keine realen Personen mitwirken?«
»Geschnuppt wie geduppt«, knurrte T4b. »So Reps wollen uns exen, tick? Also müssen wir sie erst exen! Wozu noch mehr wissen?«
»Willst du damit sagen, wir sollten nicht versuchen, hinter das System zu kommen?« Renie war empört, obwohl sie wußte, daß sie sich das schenken konnte. »Herauszukriegen, wie dieses Ding funktioniert, ist vielleicht unsere einzige Hoffnung, jemals hier rauszukommen.«
T4b zuckte mit den Achseln; sein Interesse am Gespräch war erschöpft. Mein Gott, dachte Renie, er ist einfach ein Teenager, wie er im Buche steht.
»Ich denke, ich verstehe dich, Renie«, sagte !Xabbu . »Aber meinst du denn, daß es überhaupt noch so etwas gibt wie … wie kann man das nennen? Etwas wie … ein unverfälschtes Environment? Wenn es tatsächlich so ist, wie Azador sagte, nämlich daß zum Beispiel diese Zwillinge von einer Simulation zur anderen ziehen und die Gralsbrüder und Leute wie Kunohara überall eintreten können, wo sie wollen, dann ist das System nicht mehr, was es am Anfang war.«
Renie nickte. »Stimmt. Ich frage mich, ob das ein Grund für diese Vorfälle sein könnte, diese Zusammenbrüche, bei denen das ganze System stehenbleibt. Vielleicht wird das System einfach zu kompliziert, so daß unvorhersehbare Dinge passieren, gravierende Störungen, alles mögliche.«
»Dann wäre das Otherlandnetzwerk der wirklichen Welt sehr ähnlich«, meinte !Xabbu . Er lächelte nicht.
Die Rüstkammer war ein riesiger Lagerraum mit einer genauso großen Schmiede direkt nebendran, auf der Hofseite gegenüber von dem wuchtigen, düsteren Skäischen Tor. Zu dieser Stunde war sie das einzige gut erleuchtete Gebäude im ganzen Umkreis, und ihre Essen brannten viel heller als die Feuer der Krieger, die auf dem großen Hof hinter dem Tor lagerten. Als sie eintraten, waren sie sofort von Rauch und Dampf und dem Geruch von Schweiß und geschmolzenem Metall eingehüllt. Der turnhallengroße Raum war ein grandioses Durcheinander, der Traum jedes Archäologen, und enthielt alles nur erdenkliche Kriegsgerät – zerlegte Streitwagen, haufenweise Lanzen mit zersplitterten Schäften, Helme mit Beschädigungen, die vermuten ließen, daß ihre früheren Besitzer sie wahrscheinlich nicht mehr zurückverlangen würden –, aber Renie blieb wenig Zeit, das alles auf sich wirken zu lassen. Die Arbeiter, fast durchweg alt oder verkrüppelt und somit vom Kriegsdienst ausgenommen, drängten sich mit großen Augen heran, um sich die Neuankömmlinge näher zu betrachten. Im Fackelschein wurde rasch klar, aus welchem Grund.
»Wie es im Liede heißt«, sagte einer der ältesten Rüstmeister mit ehrfürchtigem Blick auf T4b, »der edle Glaukos trägt einen Panzer, der nicht seinesgleichen hat.«
Erstaunt sah T4b an sich nieder. Die genau dem Oberkörper angepaßte Brustplatte, die Armschienen und die Beinschienen, die von den Knien bis zu den Knöcheln reichten, waren alle aus funkelndem Gold. Anscheinend hatten die Programme des Netzwerks den Panzer weiter ausgestaltet, den sein Sim beim Eintritt in die Trojawelt schon angehabt hatte. Die Rüstmeister scharten sich um den jungen Mann wie Autogrammjäger um einen Spitzensportler.
»Stimmt es, daß dein Großvater Bellerophontes ihn schon trug, als er gegen Ungeheuer kämpfte?« fragte ein Mann mit einem Arm.
»Glaukos hat einen Schlag an den Hals bekommen«, half Renie ihm aus der Verlegenheit. »Bei … beim Ringen. Seine Stimme ist schwach.«
T4b warf ihr einen dankbaren Blick zu.
»Solange sein Arm noch stark ist«, meinte der Mann, der zuerst gesprochen hatte. »Viel Blut und Tränen werden fließen, wenn die Sonne aufgeht. Beten wir zu Vater Zeus, daß die Griechen den größten Teil davon lassen
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