Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
musterte sie eingehend, taxierend, auch wenn ihr schleierhaft war, was an ihr er taxierte. »Wie würde es dir gefallen, wenn du ewig leben könntest?« fragte er sie. »Im Ernst, ich möchte, daß du darüber nachdenkst. Wie würde es dir gefallen, wenn du … ein Gott wärst?«
Kapitel
Vor der Schlacht
NETFEED/NACHRICHTEN:
Ethische Bedenken gegen kosmetische Chirurgie
(Bild: junger Mann mit zwölf Fingern)
Off-Stimme: Auf seiner diesjährigen Hauptversammlung in Monte Carlo hat der Weltverband der kosmetischen Chirurgen eine etwas umfangreichere Tagesordnung als gewöhnlich. Die generative Kosmetik, eine Weiterentwicklung der Stammzellentechnologie, ist seit etlichen Jahren der letzte Schrei bei der rebellischen jungen Generation, aber neuere Fortschritte gestatten jetzt nicht nur die Erzeugung von zusätzlichen Fingern und Zehen, sondern auch die Anfügung von Gliedmaßen und sogar von nichtmenschlichen Körperteilen wie Schwänzen.
(Bild: Animation eines Goggleboys mit Rückenflosse und Hörnern)
Off-Stimme: Einige Chirurgen und Bioethiker befürchten, daß Teenagermoden nicht das eigentliche Problem sind.
(Bild: Doktor Lorelei Schneider bei ihrem Vortrag auf der Tagung)
Schneider: »… Aus ärmeren Teilen der Welt erreichen uns bereits beunruhigende Meldungen, wonach Handarbeiter massiv unter Druck gesetzt werden, damit sie sich der Gliedervermehrung unterziehen, sich also nicht nur zusätzliche Finger und Zehen generieren lassen, sondern auch zusätzliche Hände und sogar Arme. Wer sich weigert, ist damit im Wettbewerb auf einem außerordentlich angespannten Arbeitsmarkt deutlich benachteiligt …«
> Sie waren durchgekommen, aber etwas war anders. Vieles war anders.
Renie legte eine Hand auf die steinerne Mauer, ebensosehr um sich festzuhalten wie um die beruhigende Festigkeit zu fühlen. Über dem verlassenen Garten, über dem Steinplattenweg und dem leeren Teich, über Renie und ihren desorientierten Gefährten brannten die Sterne mit einer Strahlkraft, die von dem Schimmern der trüben Pünktchen in der Hauswelt so verschieden war wie ein Wolf von einem Schoßhündchen. Aber die neuen Sterne waren ihre geringste Sorge.
»Ich … ich bin ein Mann«, sagte Renie. »Lieber Himmel, Martine, was ist geschehen?« Sie strich sich mit den Händen über den Leib, fühlte die harten Brustmuskeln durch das wollene Gewand, die strammen Schenkel, das fremde Etwas zwischen den Beinen. Ihre Hände zuckten zurück, als ob sie einen eigenen Willen hätten, als ob sie dieses unversehens fremd gewordene Gelände lieber nicht näher erkunden wollten. »Hast du das gemacht?«
»Sind alle mitgekommen?« fragte Florimel. Sie wenigstens sah in etwa genauso wie vorher aus, verbunden und blutverkrustet, abgerissen gekleidet, nur ihr Gesicht, oder was Renie davon erkennen konnte, war anders. »Sind wir alle da?«
»Gott, natürlich. Tut mir leid.« Renie fing an, Köpfe zu zählen, aber fand es kaum glaublich, daß die Fremden um sie herum ihre Gefährten sein sollten. » !Xabbu ? Bist … bist du das?«
Der schlanke junge Unbekannte lachte. »Jemand hat meine Bitte erhört, wie es scheint. Es ist … ungewohnt, mit geradem Rücken zu stehen.«
»Wie ist …« Renie zwang sich, ihre Frage herunterzuschlucken. »Nein, das muß warten. T4b, das bist du, stimmt’s?« fragte sie einen hochgewachsenen jungen Mann. Er trug einen Panzer, wie man ihn normalerweise in Museen oder auf antiken Keramiken abgebildet sah, und war damit der einzige von ihnen, der den Eindruck machte, für den Trojanischen Krieg gerüstet zu sein. Als er die Frage bejahte, blickte sie auf die vor seinen Füßen liegende kleine Gestalt. Emily hatte ihr Gesicht behalten, aber ihre Haare waren länger und hatten Locken bekommen. Ihr grober Kittel war durch ein langes weißes Kleid ersetzt worden, doch im Unterschied zu ihrer Kleidung hatte das Mädchen selbst sich nicht verändert, sofern man ihr Weinen als Indiz werten durfte. »Was ist los?« fragte Renie.
»Sie macht das, seit wir hier sind«, sagte T4b hilflos. »Weint und weint, irgendwie, schlimmer als vorher.«
»Es tut weh!« wimmerte Emily.
»Nicht so laut, bitte.« Renie kniete sich hin und beugte sich über Emily, um sie zu beruhigen. Sie schienen den dunklen Garten ganz für sich zu haben, doch wenn sie wirklich im belagerten Troja gelandet waren, dann konnte jemand, der in einem der Gärten herumschrie, nicht lange unbemerkt bleiben.
»Aber es tut weh!« schluchzte das
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