Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
schon vor langem den Geist aufgegeben hatte. Zu Del Rays Verblüffung stellte sich Joseph mit der Karte des Elefanten recht geschickt an, und er lobte den älteren Mann sogar einmal, als er sie glücklich durch ein besonders verschlungenes Gewirr von kleinen Straßen gelotst hatte.
Joseph seinerseits hätte sich nicht dazu hinreißen lassen zu sagen, er könne den jungen Mann leiden, aber er überwand immerhin zwei seiner Vorurteile – seinen eingestandenen Argwohn gegen jeden, der einen Anzug trug und geschliffenes Netzsprecherenglisch redete, und seine uneingestandene Abneigung gegen einen, der seiner Tochter den Laufpaß gegeben hatte. Long Joseph fand zwar gelegentlich, daß Renie ein bißchen zuviel keifte und sich mit ihrem Wissen dicketat, aber das war sein Privileg. Wenn jemand anders etwas an ihr auszusetzen hatte, dann war das nicht viel anders, als wenn er etwas an Joseph selbst auszusetzen hätte. Sie war schließlich seine Tochter, oder? Alles, was sie war, hatte sie seiner harten Arbeit und guten Erziehung zu verdanken.
Daher hatte es zwar gedauert, aber zuletzt war es doch zu einem Auftauen zwischen ihnen gekommen, und während das Auto schlecht gefedert die gewundenen Bergstraßen hinaufschaukelte, kam Joseph langsam zu dem Schluß, daß für diesen jungen Mann trotz allem vielleicht noch Hoffnung bestand. Wenn man seinen anstudierten Theorien die Luft rausließ und dafür sorgte, daß er sich am wirklichen Leben ein bißchen schmutzig machte – obwohl die Lektion anscheinend schon gelaufen war –, dann konnten er und Renie unter Umständen doch noch ein Paar werden. Seine Frau war ihm davongelaufen, und wenn dieser ganze Quatsch mit virtuellen Badewannen in militärischen Anlagen vorbei war, konnte er sich bestimmt einen neuen Anzug und einen ordentlichen neuen Job besorgen, was? So ein Studium mußte noch für irgendwas anderes gut sein als bloß zum gespreizt Daherreden.
Joseph kam nicht von dem Gedanken los, daß es nett wäre, Renie in festen Händen zu wissen. Eine Frau ohne Mann – nee, sie konnte nicht wirklich glücklich sein. Es würde ihr sicher schwerfallen, ihrem Vater an seinem Lebensabend die gebührende Aufmerksamkeit und Pflege zukommen zu lassen, wenn sie den ganzen Tag über arbeiten mußte.
»Ist das die Straße?« fragte Del Ray und brach damit in eine sonnige Träumerei ein, in der Joseph in seiner teuren neuen Wohnung auf der Couch vor dem ständig laufenden großen Krittapong-Wandbildschirm thronte und seine Enkelkinder mit Geschichten darüber unterhielt, wie aufsässig und schwierig ihre Mutter gewesen war. »Straße kann man das kaum nennen.«
Joseph spähte durch das eingegraute Fenster. Als er die von Sträuchern überwucherte Schneise am Straßenrand erblickte, mußte er gar nicht erst auf die Karte schauen. »Hier is es«, sagte er. »Sieht aus, als hätten wir’n bißchen was weggefetzt, als wir mit Jeremiahs Wagen durch sind – vorher war’s dichter zugewachsen. Aber das is die Straße.«
Del Ray bog auf die schmale Piste ab. Kurz darauf verbreiterte sie sich zu einer gut ausgebauten Straße, die sich in steilen Serpentinen den Berg hinaufschlängelte und von unten durch die hohen Sträucher und Bäume nicht zu sehen war. Die Sonne war inzwischen untergegangen, aber der Himmel war immer noch blaßblau; an der Flanke des Berges mit seinen dunklen Rot- und Grautönen waren die Pflanzen kaum mehr als Schattenrisse.
»Ich muß dir noch was zu diesem Ort sagen«, erklärte Joseph. »Einmal is er sehr groß. Und er is ’ne Militärbasis, du kannst also nich rumrennen und alles mögliche anfassen – nur wenn ich’s dir sage. Egal, was dein Elefantenfreund meint, er is geheim, und wir wollen, daß das so bleibt.«
Del Ray gab einen Ton von sich, der sich beinahe unwirsch anhörte. »Gut.«
»Die andere Sache, die du wissen solltest … Dieser Jeremiah Dako?« Joseph deutete vage bergaufwärts. »Der Mann, der dageblieben is und mir’n bißchen hilft? Na ja, er is homosexuell.« Er nickte. Er hatte seine Pflicht getan.
»Und?« fragte Del Ray nach einer Weile.
»Was, und?« Joseph hob die Hände. »Da gibt’s kein Und, Mann. Ich sag’s dir bloß, damit du nich blöd reagierst. Du hast keinen Grund, ihn zu beleidigen – er hat dir nix getan.«
»Warum in aller Welt sollte ich ihn beleidigen wollen? Ich kenne den Mann doch gar nicht.«
»Dann is ja gut. Er und ich, wir ham da was klären müssen. Das heißt, ich hab ihm begreiflich machen müssen, wie
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