Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
Tagesanbruch wieder zusammenstoßen, und seht«, er deutete auf den östlichen Himmel: »Der Morgenstern ist bereits auf dem Rückweg von seiner Jagd durch die Nacht. Er wird gleich den ersten roten Staub am Horizont aufwirbeln.«
»Stimmt, wir können nicht einfach hier rumsitzen, wenn das Kämpfen wieder losgeht.« Renie wandte sich Jonas zu, aber dieser war dabei, !Xabbu zu beäugen.
»Du hast eine poetische Art, dich auszudrücken, mein Freund«, sagte er. »Bist du sicher, daß du ein realer Mensch bist? Du würdest unter den Griechen kaum auffallen.«
!Xabbu lächelte. »Renie lehrte mich, daß es unhöflich ist, sich zu erkundigen, ob jemand real ist, aber ich bin mir ziemlich sicher, daß ich nicht bloß Code bin.«
»Er ist ein Buschmann«, bemerkte Renie. »Ursprünglich aus dem Okawangodelta. Hab ich das richtig ausgesprochen, !Xabbu ?«
Jonas zog die Augenbrauen hoch. »Ihr seid ein spannendes Grüpplein, keine Frage. Ich kann mir vorstellen, daß wir Tage mit Geschichtenerzählen verbringen könnten, aber wir sollten zusehen, daß wir vor Tagesanbruch im griechischen Lager sind.« Er legte nachdenklich die Stirn in Falten. »Ich glaube nicht, daß die Griechen allzu begeistert wären, wenn ich ein paar trojanische Freunde zum Frühstück mitbrächte. Vielleicht wäre es besser, ihr seid meine Gefangenen.« Er erhob sich. »Auf, schnüren wir eure Waffen zusammen, so daß ich sie tragen kann, und dann gehe ich mit einer Lanze hinter euch her, damit es schön echt aussieht.« Er sah die düstere Miene des jüngsten Mitstreiters und lächelte schief. »Du wirst mir vertrauen müssen … entschuldige, wie heißt du nochmal? T2v? Wir haben einfach keine andere Wahl.«
»T4b, aber du kannst ihn Javier nennen«, sagte Renie, wobei sie dem Teenager einen strengen Blick zuwarf. »Das kann man sich leichter merken.«
T4b warf ihr einen giftigen Blick zu, aber die Nennung seines richtigen Namens hatte seine harte Fassade ein wenig aufgeweicht, und er händigte Jonas brav seine Lanze aus.
Sie waren kaum hundert Schritte gegangen, als T4b plötzlich erstarrte und mit einem Fluch zurücksprang. »Scheiße!« rief er. »Gib mir das Stechdings wieder!«
»Was soll das?« fuhr Renie ihn an. »Wir haben dir doch erklärt …«
»Da ist ’ne vollblock dicke Schlange!« sagte T4b und streckte den Finger aus. »Genau da!«
Renie und !Xabbu konnten nichts sehen.
»Ich dupp nicht!«
Paul Jonas trat neben den schlotternden Teenager. »Frag sie, was sie will.«
»Kannst du sie sehen?« fragte Renie.
»Nein, aber ich denke, ich weiß, was es ist«, erwiderte Jonas. »Ich hatte vorher auch sowas – bei mir war’s eine Wachtel.«
Mit noch bestürzterem Blick drehte T4b sich ihnen zu. »Habt ihr das gehört? Sie hat mit mir geredet!«
»Sie ist Teil des Systems«, erklärte Paul. »Ich glaube, jeder bekommt so ein Ding, jedenfalls alle wichtigen Personen, vermutlich damit sie die ganzen Details auf die Reihe kriegen. Orlando hatte auch eins.« Er wandte sich an T4b. »Was hat sie gesagt?«
»Mich gefragt, ob ich echt zum griechischen Lager will. Weil das ’ne schlechte Idee wär, irgendwie. Aber wenn sie mich fangen, soll ich nach so ’nem Griechen fragen, der Die-Omi-isses heißt oder so, der würde meine Familie kennen.«
»Diomedes – das ist eins von den Assen auf der griechischen Seite.« Paul legte den Kopf schief. »Na, deine Schlange hätte ergiebiger sein können, aber immerhin klingt es, als wärst du so wichtig, daß ich eventuell ein anständiges Lösegeld für dich bekomme.«
T4b starrte ihn eine ganze Weile voller Argwohn an, bevor er begriff, daß das ein Witz gewesen war. »Oh, chizz, Mann«, knurrte er. »Lach tot, äi.«
Der Himmel im Osten hatte sich ins Dunkelgraue aufgehellt, als sie am Tor ankamen. Die Wächter erkannten Odysseus und waren ganz aufgeregt, als sie sahen, daß er trojanische Gefangene bei sich hatte. Die hohen Flammen des Wachfeuers beleuchteten auch etwas, das Renie und ihre Gefährten völlig vergessen hatten.
»Beim Donnerer!« Einer der Wächter glotzte T4b staunend an. »Seht euch seinen Panzer an – ganz aus Gold!«
»Odysseus hat einen Helden gefangengenommen!« sagte ein anderer, dann drehte er sich um und rief den gerade erwachenden Männern am nächsten Feuer zu: »Der listenreiche Odysseus hat den Lykier Glaukos gefangengenommen! Den Mann mit dem goldenen Panzer!«
Sehr zu Renies Kummer waren sie alsbald von einer johlenden Meute umringt, die sie zur
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