Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
darauf antwortete, was Renie und die anderen ihn fragten. Er hatte außerdem unterwegs auf alles genau achtgegeben und sich bemüht zu verstehen, was mit ihm geschah. Am bemerkenswertesten war, daß er sich bei all seinen furchtbaren Heimsuchungen einen trockenen Humor mit einem ordentlichen Schuß Selbstironie bewahrt hatte.
»Du bist wirklich Odysseus«, entfuhr es ihr an einer Stelle.
Er sah verdutzt auf. »Was meinst du damit?«
»Na …« Es war ihr peinlich, daß sie den Gedanken laut ausgesprochen hatte. »Na, was du alles durchgemacht hast. Auf der Suche nach dem Heimweg irrst du durch fremde Länder, verfolgt von den schicksalsbestimmenden Mächten …« Sie machte eine ausladende Handbewegung, die nicht nur das Schlachtfeld, sondern das gesamte Netzwerk einbegriff. »Es ist, als ob du die Figur geworden wärest, der du am meisten gleichst.«
Sein Lächeln war matt. »Kann schon sein. Ich bin einer geworden, der sich überall durchmogelt, wie’s aussieht. In einem Bewerbungsschreiben wäre das keine Empfehlung, aber hier kann man sich vielleicht was drauf einbilden.«
»Andererseits …« Renie sah zu !Xabbu hinüber. »Das erinnert mich irgendwie an das, was Kunohara gesagt hat – daß wir in einer Geschichte drin wären. Aber was könnte das heißen? Daß wir keinen freien Willen haben oder so?«
!Xabbu zuckte mit den Achseln. »Es gibt noch andere mögliche Deutungen. Wir können darin Handelnde sein, aber jemand anders könnte versuchen, den Ereignissen eine bestimmte Gestalt zu geben. Es gibt vielerlei Weisen, wie man sich den Gang der Welt erklären kann – jeder Welt.« Er warf Renie einen verschmitzten Blick zu. »Hatten wir diese Diskussion nicht schon einmal, du und ich? Über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Wissenschaft und Religion?«
»Aber das haut irgendwie nicht hin. Wer sollte so eine Geschichte gestalten, und warum?« Sie wollte nicht auf !Xabbus Köder anbeißen: So erfreulich es war zu erfahren, daß Orlando und Fredericks noch lebten, die wesentlichere Erkenntnis war doch, daß Jonas keine unmittelbar brauchbaren Antworten zu bieten hatte. Bisher hatte Renie angenommen, falls sie Sellars’ entflohenen Gefangenen jemals finden sollten, würde dieser wie ein Spion in einem altmodischen Krimi im Besitz hart erkämpfter Geheimnisse sein. Die Informationen, über die Jonas verfügte, waren zwar in der Tat hart erkämpft, aber keine warf in irgendeiner Weise Licht auf die entscheidenden Fragen. »Die einzigen, die derart mit unserm Leben schalten und walten könnten, wären die Gralsleute selber. Oder vielleicht diese mysteriöse Frau.« Sie wandte sich wieder an Jonas. »Ich habe ihre Stimme gehört, kurz bevor du hier aufgetaucht bist. Wir sollten uns nicht fürchten, meinte sie. Es war dieselbe, die uns vorher als Madonna der Fenster erschienen ist, todsicher.«
Jonas nickte. »Ja, sie hat mich zu euch geführt. Orlando und Fredericks haben sie auch gesehen – sie scheinen überhaupt beinahe soviel Kontakt mit ihr gehabt zu haben wie ich. Ich bin sicher, daß sie wichtig ist – mehr als bloß eine der Jahrmarktsattraktionen, versteht ihr? Ich hatte von Anfang an das Gefühl, daß sie mir etwas bedeutet, aber daran, was das sein könnte, komme ich immer noch nicht ran.«
»Daß sie dir was bedeutet? Du meinst, du hast sie vorher schon gekannt?« Renie dachte zurück, aber die Erscheinung, die sie in der Hauswelt gesehen hatten, war so hauchzart gewesen wie das letzte Bild eines Traumes. »Hast du nicht wenigstens eine Ahnung, was sie in deinem Leben gewesen sein könnte? Geliebte, Freundin … Schwester, Tochter …?«
Jonas zögerte. »Einen Moment lang war etwas da, als du das eben sagtest, aber jetzt ist es wieder weg.« Er seufzte. »Wir müssen vielleicht alle unsere Erfahrungen austauschen. Ist von eurer Gruppe sonst niemand mehr übrig? Ich hatte Orlando so verstanden, daß es einige mehr sein müßten.«
»Drei von uns sind noch in Troja drin.« Renie schüttelte ratlos den Kopf. »Wir sollten zu ›Ilions Mauern‹ kommen, hieß es, aber wir hatten keinen Dunst, wohin genau oder wozu, und deshalb haben wir uns geteilt.«
»Speicher voll, äi«, sagte T4b plötzlich. Er hatte mit ungewöhnlicher Konzentration zugehört, aber jetzt schien seine jugendliche Geduld langsam erschöpft zu sein. »Los, wir kloppen Fredericks und Orlando da aus dem Lager raus, und dann ab die Pest nach Troja City.«
!Xabbu nickte. »T4b hat recht. Die Heere werden bei
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