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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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nichts dergleichen wie einen Menschen oder überhaupt eine Gestalt erkennen, aber das Feuer schien eine neue Qualität gewonnen zu haben, oder vielmehr hatte es eine Qualität verloren, die vorher dagewesen war, und war irgendwie einfacher geworden, vielleicht daß seine Flammen nicht mehr so wild flackerten oder daß es eher einfarbig wirkte.
    »Ich sehe nichts.« Sie blickte auf T4b, der ebenfalls angestrengt in das Feuer starrte, nachdem er auf der Schwelle zu irgendeiner schwierigen Eröffnung unterbrochen worden war.
    »Es ist … Ich glaube, es ist …« !Xabbu beugte sich spähend näher heran, so daß das langsam wellende goldene Licht seine Wangen und seine Stirn bestrich. »Ein Gesicht.«
    Bevor Renie die naheliegende Frage stellen konnte, sprach eine weibliche Stimme in ihrem Ohr, beinahe in ihrem Kopf – fern, aber klar, wie eine Glocke, die aus einer menschlichen Kehle läutete.
    »Es kommt jemand zu euch. Fürchtet euch nicht.«
    Die anderen hörten es ebenfalls. T4b schnappte sich seine Lanze, sprang auf und blickte sich verstört um. Das Feuer war wieder nur noch ein Feuer, aber am Rand seines Lichtkreises bewegte sich jetzt etwas. Wie von der geheimnisvollen Stimme herbeigerufen, trat eine Figur aus der Dunkelheit auf sie zu, von Kopf bis Fuß vermummt, so daß Renie sich fragte, ob hier nun der Tod in dieser künstlichen Welt endlich so erschien, wie man ihn sich traditionell vorstellte.
    »Halt!« zischte sie mit instinktiv gedämpfter Stimme. Der Fremde gehorchte, dann hob er langsam die Hände und breitete sie aus, um zu zeigen, daß er keine Waffen führte. Die vermeintliche Kapuze war nichts weiter als eine Falte in einem dicken wollenen Überwurf, den der Mann sich über die Schultern gezogen und vor der Brust mit einer Spange zusammengesteckt hatte. Glänzende Augen blickten sie aus dem Schatten an. »Wer bist du?«
    T4b machte einen drohenden Ausfallschritt und stieß mit der Lanze nach dem verhüllten Gesicht.
    »Nicht!« rief Renie scharf. Der Fremde war einen Schritt zurückgewichen. Als T4b stehenblieb, schlug er die Kapuze zurück, und ein unbekanntes bärtiges Gesicht kam zum Vorschein. »Ich frage dich nochmal«, sagte Renie, »und zum letztenmal. Wer bist du?«
    Der Mann blickte langsam von ihr zu ihren beiden Gefährten und wieder zurück. Sein Zögern war merkwürdig. Normalerweise, schien es Renie, würde jemand, der mitten in der Nacht beim Umschleichen eines Heerlagers ertappt und angerufen wurde, sich als befreundeter Mitkämpfer ausgeben, ob wahrheitsgemäß oder nicht.
    »Ich … ich wurde hierhergeführt«, erklärte der bärtige Mann schließlich. »Von einer fliegenden Erscheinung. Einer Gestalt, einem Licht. Es … es kam mir bekannt vor.« Er musterte die drei. »Habt ihr das auch gesehen?«
    Renie fiel das Feuer ein, aber sie verriet nichts davon. »Wer bist du?«
    Der Fremde ließ die Hände sinken. »Wichtiger ist, wen ich suche.« Er schien zu zögern wie vor einem nicht wieder rückgängig zu machenden Schritt. »Die Frage mag euch seltsam vorkommen. Kennt ihr … kennt ihr zufällig eine Frau, die Renie heißt?«
    T4b zog scharf die Luft ein und setzte an, etwas zu sagen, aber Renie winkte ihm zu schweigen. Ihr Herz hämmerte, doch sie zwang sich, so ruhig wie möglich zu sprechen. »Schon möglich. Warum willst du …?«
    Sie wurde von T4b unterbrochen, der seine Erregung nicht mehr bezähmen konnte. »Bist du das, Orlando?«
    Der Fremde sah ihn scharf an, dann trat ein müdes, erleichtertes Lächeln in sein Gesicht. »Nein. Aber ich kenne ihn – ich habe noch vor wenigen Stunden mit ihm geredet. Mein Name ist Paul Jonas.«
    »Heiliger Bimbam! Jonas!« Renie faßte unwillkürlich !Xabbus Hand und drückte sie, dann deutete sie mit zitterndem Finger auf einen Platz neben dem Feuer. »Komm, setz dich. Irgendwie … irgendwie dachte ich, du wärst größer.«
     
    Renie betrachtete den Neuankömmling eingehend, weniger aus Mißtrauen – obwohl ihre Erfahrungen im Netzwerk sie nicht dazu ermutigten, irgend jemandem zu trauen – als vielmehr aus neugierigem Interesse an einem Mann, der soviel durchgestanden hatte. Es verblüffte sie, daß Jonas’ Selbstbeschreibung haargenau zu stimmen schien: Er war niemand Besonderes, ein durchschnittlicher Mann ohne herausragende Eigenschaften, der in Ereignisse hineingezogen worden war, die er nicht verstand. Aber er war zweifellos kein Dummkopf. Er stellte intelligente Fragen und dachte gründlich nach, bevor er seinerseits

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