Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
offen«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob er noch funktionieren wird, wenn ich erstmal im Netzwerk drin bin, aber wenigstens bis dahin werde ich mit dir reden können.«
Sie nickte. Die herabhängenden Haare verschleierten ihr Gesicht.
»Gut. Wünsch mir Glück, Süße.«
»Na klar. Viel Glück.«
Dread subvokalisierte einen Befehl und sank auf die leere Oberflächenebene seines Systems. Er schloß die Augen, um sich zu sammeln, und durchfühlte die Ganglienketten der Systemmatrix, die er so gut kannte wie seinen eigenen Körper oder noch besser. Er prüfte die neuen Fähigkeiten, die größere Geschwindigkeit und die enorm gesteigerte Speicherkapazität, und war zufrieden. Er hatte nur eine vage Vorstellung davon, was ihn erwartete und was geschehen würde, wenn es zur Konfrontation kam; er wollte auf alle Eventualitäten vorbereitet sein.
Aber irgend etwas fehlte, ging ihm auf. Der Held zog ohne Musik ins Gefecht. Dread überlegte. Sicher, es war gefährlich, auch nur das winzigste Quentchen seiner Ressourcen zu vergeuden, aber andererseits -Stil mußte sein. Machte es nicht einen Helden aus, daß er immer ein bißchen Energie für große Gesten übrig hatte? Er rief seinen Katalog auf – er bildete sich nicht ein, während eines solchen Angriffs selbst ein Thema gestalten zu können – und entschied sich schließlich für einen alten Freund, Beethovens Neunte. Manche mochten das abgedroschen finden. Na schön. Sollten die Rotzlöffel doch kommen und mit ihm dem Drachen entgegentreten. Ansonsten, wenn sie davor kniffen, sollten sie die Klappe halten. Besser noch sie kamen und traten gegen Dread selbst an. Nein, ein wenig Musik konnte ihm zu noch größerer Entschlossenheit und Konzentration verhelfen, und falls sie seine Ressourcen oder seine Aufmerksamkeit zu sehr beanspruchte, würde er sie einfach abschalten.
Bei den ersten unheilraunenden Streicherklängen rief er mit Dulcys Kopie des gestohlenen Zugangsgerätes die Eintrittssequenz auf. Als er nach dem Rausschmiß aus dem System zum erstenmal wieder versucht hatte hineinzukommen, war die Reaktion prompt und brutal gewesen – ein bestialischer Inputstoß wie schlechtes Charge, schlimmer als alles, was der Alte Mann ihm jemals verpaßt hatte. Diesmal war er vorbereitet. Er hatte einen Weg gefunden, seinen Anschlußpunkt zu verbergen, während das Otherlandsystem die Anmeldung prüfte. Jede Aktion würde verpuffen und nur die Herkunft der Abwehr markieren.
Aber zu Dreads Erstaunen erfolgte diesmal kein Gegenschlag, sondern die Sequenz kam durch und das System ging auf und stellte ihn vor die anfängliche Wahl der Parameter – eine Art Besucherfoyer für das exklusive Ambiente des Otherlandsystems. Begeistert, daß Dulcys Gebastel die Zugangspanne vom letztenmal behoben hatte, wollte er gerade die erste Wahl treffen, als er sich einer ungewöhnlichen Empfindung bewußt wurde.
Etwas wartete auf ihn.
Es war grotesk, vollkommen widersinnig, aber Dreads Instinkte waren sehr scharf, und als das Raubtier, das er war, vertraute er ihnen immer. Er spürte nach, was er da eigentlich fühlte. Er war auf einer der Vorstufen des Otherlandsystems, viel zu weit von den VR-Environments entfernt, um Informationen anders als auf den gewöhnlichen Wegen zu empfangen, über Bild und Ton. Jeder normal empfindende Mensch hätte den Eindruck als Folge der eigenen Nervosität abgetan und mit dem Wählen weitergemacht, aber Dread war noch nie sehr normal gewesen.
Er zögerte, dann startete er das erste der Unterprogramme, die er und Dulcy für diesen Einbruch geschrieben hatten, ein Programm, das einen Scheinanruf durchführte, eine gefälschte, aber sehr realistische Anmeldung auf einer anderen Leitung. Als es mit der Vorstufe verbunden war, traf es unter den gebotenen Alternativen eine willkürliche Auswahl. Eine Sekunde später existierte es nicht mehr.
Dulcys Stimme, in deren müdem Ton auf einmal das geweckte Interesse durchklang, surrte in seinem Kieferknochen. »Den ersten Scheinanruf hat’s grade geext. Irgendwas hat ihn nicht bloß abserviert, sondern völlig zerstört – auch die Leitung ist jetzt außer Betrieb.«
Ein Sicherheitssystem, das Fallen stellen und dann den Fang brutal liquidieren konnte. Dread schmunzelte. Du bist ein cleveres Kerlchen, was? Wenn man das zutiefst bösartige Lauern hinter der Fassade des Systems fühlte, war es kaum vorstellbar, daß da nicht ein Mensch am Werk war – und zwar, nach der prompten, präzisen Tücke der Reaktion zu
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