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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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siegreich Bahn durch unser Lager, schon brannten mehrere Schiffe, und Hektor wütete unter unseren Männern wie ein verwundeter Eber. Beinahe war alles verloren, da kamst du zum Kampf gerüstet heraus und sprangst auf deinen Wagen. Die Myrmidonen ließen ein großes Freudengeschrei ertönen! Oh, wie schwoll da mein Herz vor Glück!« Das frohe Leuchten der Erinnerung erlosch plötzlich wieder in seinen Augen, und sein runzliges Gesicht fiel ein wie eine Papiertüte. »Aber jetzt bist du hier, obwohl ich vor noch nicht einer Stunde selbst gesehen habe, wie du die fliehenden Trojaner auf die Ebene hinaustriebst.«
    »O Gott«, sagte Orlando langsam. »Fredericks. O Fredericks, du Oberscänner!«
    Der alte Mann duckte sich furchtsam. »Ich verstehe deine Worte nicht, mein König. Bist du in der Schlacht den Trojanern erlegen wie ein Bär der Meute der Hunde? Ist dies dein Geist, der hier ein letztes Mal verweilt, bevor er die staubige Straße zum Hades hinabzieht?«
    »Sei so gut und halt den Schnabel, ja?« Orlando spürte die Sonne wieder hervorkommen, roch den Rauch. Die Welt war soeben aus den Angeln gesprungen. Fredericks, die in Mittland sogar Kneipenschlägereien aus dem Weg gegangen war, hatte den Panzer des Achilles angelegt und führte die Myrmidonen gegen das trojanische Heer. Diese Irre! Wußte sie nicht, daß sie hier sterben konnte? »Wie heißt du?« fragte Orlando den alten Mann.
    »Thestor, mein König. Nicht Thestor, Vater des Kalchas, auch nicht jener, der den Alkmaon zeugte, sowenig wie jener andere Thestor, Sohn des Enops, der den Tod auf dem Schlachtfeld von den Händen deines Freundes Patroklos empfing …«
    »Genug.« Die Sonne war jetzt ganz hinter den Rauchwolken hervorgetreten, und Orlando konnte schattenhafte Bewegungen auf der Ebene wahrnehmen, aber sie waren weit entfernt, beinahe schon im Schatten von Trojas großer Mauer. Was konnte er tun? Sich ohne Panzer und ohne Waffen in die Schlacht stürzen?
    »Du siehst, es gibt viele Thestors«, fuhr der Alte fort, »und ich bin nur einer der geringsten …«
    »Genug, okay? Ich muß mich rüsten. Wo krieg ich einen Panzer her?«
    »Aber ich erblickte doch deinen berühmten bronzenen Panzer, als du ausfuhrst – wie ein Gott sahst du aus …«
    Orlando wandte sich ab. Der alte Mann war weniger wert als nichts. Da kam ihm ein Gedanke. »Schildkröte!« rief er. »Schildkröte, komm her!«
    »Aber ich heiße Thestor, großer Achilles …«
    Orlando beachtete ihn gar nicht. Gleich darauf kam eine kleine runde Gestalt blinzelnd unter der Hüttenwand hervor. »Was gibt’s, mein Held?«
    »Ich brauche einen Panzer. Ich brauche Waffen. Wo finde ich welche?«
    »Wenn du noch eine Nacht warten würdest, könnte deine unsterbliche Mutter den Schmiedegott Hephaistos bitten, dir welche anzufertigen. Er schmiedet sehr schöne Stücke, mußt du wissen.«
    »Keine Zeit. Ich brauche die Sachen sofort.«
    Die Schildkröte schloß die Augen und prüfte den aktuellen Stand der Simwelt. Der alte Thestor, sei es, weil das System ihn kurzfristig abgekoppelt hatte, sei es, weil göttlicher Wahnsinn bei Helden an der Tagesordnung war, wartete geduldig, während sein Herr Achilles sich angeregt mit der leeren Luft unterhielt.
    »Aus irgendeinem Grund hat der Lykier Glaukos seinen Panzer abgeworfen«, teilte die Schildkröte mit. »Er liegt im Moment hinter Agamemnons Hütte. Er müßte dir eigentlich passen, und die Geschichte seiner Herkunft ist lang und heldenhaft …«
    »Mir egal. Er wird’s tun.« Er wandte sich an Thestor. »Weißt du, wo Agamemnons Hütte ist?«
    Der alte Mann nickte zitternd. »Selbstverständlich …«
    »Dahinter liegt ein Panzer. Finde ihn und bring ihn mir. Die ganze Rüstung. Lauf!«
    »Meine Beine sind schwach, großer König …«
    »Dann lauf halt, so schnell deine Beine können. Aber setz dich in Bewegung!«
    Thestor trottete gehorsam los. Orlando ging wieder in die Hütte und hob die Lanze auf, die liegengeblieben war. Sie war ungemein schwer und so lang, daß sie nicht leicht aus der Tür zu manövrieren war, aber sie lag ihm mit einer Vertrautheit in der Hand, die eigentümlich befriedigend war.
    Die Schildkröte betrachtete ihn wohlgefällig. »Deine große Lanze – sie war für den wackeren Patroklos zu gewichtig, auch wenn er sonst alles mitgenommen hat.«
    »Ist er – Patroklos – noch am Leben?«
    »Nur die Götter wissen, was Menschen nicht sehen können«, erwiderte die Schildkröte. »Er fuhr aufs Feld hinaus und trieb

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