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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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daß es Gott ist oder Orlandos Fürst der Dunkelheit, aber ich glaube auch nicht, daß dies hier eine normale Simwelt ist.« Er runzelte sorgenvoll die Stirn und wirkte dabei fast so betroffen wie Martine. »Ava, oder wer sie auch sein mag, hat uns aus einem ganz bestimmten Grund hierhergebracht. Es hat sie unendlich viel gekostet – deshalb mußte sie sich auch Emily wieder einverleiben. Ich denke, wir befinden uns jetzt im Kern des Systems, auch wenn das hier«, er deutete mit der Hand auf das Tal und die Berge ringsherum, »alles bloß eine Metapher ist. Was diesen Riesen da betrifft, so weiß ich nicht, ob wir wirklich die Aufgabe haben, ihn zu töten, aber ich bin mir ziemlich sicher, daß wir seinetwegen hier sind.«
    »Wenn er das Betriebssystem ist«, sagte Renie finster, »dann hat er unsern Freund Singh umgebracht. Seinetwegen vegetiert mein Bruder nur noch dahin, und Florimels Tochter auch. Wenn es eine Chance gibt, ihn zu töten, dann bin ich, glaube ich, doch auf Orlandos Seite. Aber wir sollten zusehen, daß wir sie einholen, ehe jemand eine unverzeihliche Dummheit begeht.« Sie drehte sich zu Martine um und half ihr auf. »Wirst du gehen können?«
    Die blinde Frau nickte schwach. »Ich glaube schon. Aber es kommen und gehen … ungeheure Informationsmengen an diesem … Ort.«
    »Du bist dir also sicher, daß dieses Ding da das ganze Netzwerk betreibt?«
    Martine winkte ab. »Ich weiß gar nichts sicher, nur daß mein Kopf sich anfühlt, als wollte er gleich platzen.«
    »Wir beeilen uns lieber.« Renie sah, daß die übrige Schar bereits den Fuß des Abhangs erreicht hatte, und T4b an der Spitze war dem einen der hochhausgroßen Füße erstaunlich nahe gekommen. Sie fluchte. »Wieso haben die plötzlich einen solchen Vorsprung?«
    Bevor sie noch einen Schritt tun konnte, ging etwas von der Riesengestalt aus, eine Energiewelle, die alles verschwimmen ließ. Eine Sekunde lang dachte Renie, es sei wieder die seufzende, erderschütternde Stimme des Dings, doch da wurde sie gepackt und versteinert und zerbrochen und in tausend Einzelteilen über ein plötzlich entleertes Universum versprengt. Sie konnte gerade noch denken: Jetzt geht’s wieder los …, dann verlor sie jedes Selbstempfinden.
     
    Das Bewußtsein war diesmal praktisch ausgeschaltet; erst als der Auslöschungszustand nachließ, konnte Renie überhaupt einen Gedanken fassen, aber es dauerte sehr lange, bis die Wirkung abgeklungen war. Zuletzt kam alles wieder nach und nach mit der Langsamkeit von schwerelosen Wassertröpfchen zusammen, erst einzelne Bewußtseinsstückchen, die sich verbanden, gefolgt von einfachen Gedankenfolgen. Körperempfindung und Gehörsinn stellten sich schwerfällig wieder ein, dann schälte sich eine Farbwahrnehmung – zunächst nur die Möglichkeit von Farbe, noch keine Farben selbst – aus der Schwärze heraus. Die umgebende Leere gewann Zusammenhalt und erkennbare Konturen, und schließlich floß die wüste Gebirgsszene wieder zusammen wie eine rückwärts abgespielte Zeitlupenaufnahme vom Verlaufen eines Ölgemäldes.
    Renie richtete sich aus der gebückten Haltung auf, in der sie sich befand, und sah dabei, daß einige der anderen sogar hingefallen waren.
    »Das war … heftig diesmal«, murmelte Paul Jonas. Sie halfen Martine aufzustehen, aber sie war wie betäubt und konnte kaum gehen und noch weniger reden.
    »Die Ausfälle des Systems werden immer schlimmer«, meinte Renie, als sie sich mühsam wieder in Bewegung gesetzt hatten. »Länger und dunkler. Vielleicht brauchen wir das Ding gar nicht zu töten. Vielleicht stirbt es von selber.«
    Paul sagte nichts, aber seine düstere Miene drückte deutlich Zweifel aus.
    Binnen weniger Momente waren sie der Riesengestalt viel näher gekommen, als es mit rechten Dingen sein konnte, und Renie verstand jetzt das forsche Tempo, mit dem die anderen sich bewegt hatten. Irgendein Effekt verkürzte die Distanz, so daß die Landschaft mit jedem Schritt beängstigend schnell an ihnen vorbeirauschte. Der Weg, der sonst Stunden gedauert hätte, verging dadurch wesentlich rascher.
    Als sie dichter an den gewaltigen Körper herankamen, konnte Renie die winzigen weißen Gestalten besser erkennen, die darauf herumkrabbelten wie Flöhe auf einem schlafenden Hund. Wie schon vorher aus der Ferne erinnerten sie an Menschen, und sie schienen fast so groß zu sein wie Renie und ihre Freunde, doch selbst bei genauerer Betrachtung aus der Nähe hatten sie keine klar erkennbare Form

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