Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
die Füße, die Augen weiter geschlossen. Sie stolperte, aber !Xabbu hielt sie fest, bevor sie nach außen taumeln und in die Tiefe stürzen konnte. »Es wäre gut … wenn jemand mit mir ginge«, räumte sie ein. »Ich bin noch wacklig auf den Beinen.«
»Paul, kannst du mit Orlando und Fredericks gehen, während wir mit dem Rest hinterherzockeln?« fragte Renie. Paul nickte, stand auf und drehte seinen Kopf hin und her, um das noch nachwirkende unangenehme Gefühl von T4bs Fingern an seiner Kehle loszuwerden. Der junge Mann fixierte ihn wieder, die schweißnassen dunklen Haare in Ringellocken über der Stirn, das Gesicht eine Maske, die nichts verriet.
Paul hatte Orlando und Fredericks rasch eingeholt, da Orlando zwar entschlossen, aber langsam und staksig ausschritt; er schien überdies schlecht Luft zu bekommen. Auch die anderen rückten bald nach, und gemeinsam stiegen sie den gleichmäßig gewundenen Bergpfad hinauf.
Der Steig hatte nichts Natürliches an sich, erkannte Paul, aber wahrscheinlich wäre das Gegenteil überraschender gewesen. Er war schlicht ein rein funktionaler, in die Bergwand gekerbter Fußweg – ein senkrechter, spiralig um den Berg herumführender Schnitt und rechtwinklig dazu ein schräger Schnitt für die Lauffläche. Der Pfad war rauher als der übrige Stein, als ob die titanische Klinge, die ihn geschabt hatte, eine gesägte Schneide gehabt hätte, und das war auch gut so: Paul wollte gar nicht daran denken, wie es wäre, diese heikle Piste zu gehen, wenn die Oberfläche des schwarzen Vulkangesteins hier genauso glasglatt gewesen wäre wie überall sonst. Tief dankbar war er auch dafür, daß kein Wind wehte, vor allem, als der Weg schmaler wurde, es war auch so schwer genug, Orlando und Martine in der Mitte des Weges zu halten. Als leicht paradox allerdings empfand es Paul, daß T4b, der ihn soeben noch mit Todesverachtung am Rande des Abgrunds gewürgt hatte, allem Anschein nach Höhenangst hatte und darauf bestand, so weit innen wie möglich zu gehen.
Wie sich herausstellte, mußten sie nicht allzu weit steigen. Nach einer knappen Stunde langsamen Dahinschleichens bogen sie um einen vorspringenden Felsen, hinter dem der Weg einen scharfen Knick nach innen machte und jetzt zwischen dem Vorsprung und einer anderen steinernen Spitze hindurchführte statt weiter am äußeren Umkreis entlang.
Paul war froh, den bodenlosen Absturz hinter sich zu lassen, aber erst als sie endlich ein gutes Stück davon weg waren und auf beiden Seiten Felswände den Pfad einfaßten, merkte er, wie heftig sein Herz die ganze Zeit über geschlagen hatte.
Die äußersten Höhen des Berges lagen weiterhin ein gutes Stück über ihnen, und nachdem sie die Strecke zwischen den beiden Gipfeln zurückgelegt hatten, kamen zunächst einmal noch etliche andere, ein regelrechter Wald hochragender Felsnadeln. Ein sanftes rotes Licht, dessen Quelle sie wegen der dazwischenliegenden Bergspitzen nicht erkennen konnten, spielte auf den Flanken der höchsten schwarzen Zinnen, als ob dahinter ein Feuersee läge. Paul fiel Martines Bemerkung über einen Vulkan ein, und er fragte sich, ob sie jetzt wohl eine genauere Vorstellung davon hatte, was sie alle erwartete, aber die Blinde brauchte ihre ganze Energie, um sich mühselig vorwärtszuschleppen; es kam ihm grausam vor, ihr Erklärungen abzuverlangen.
Schließlich führte der Pfad noch einmal steil hinauf und zwischen zwei weiteren wächtergleichen Gipfeln hindurch. Direkt dahinter breitete sich das warme Licht aus, als ob das bergwandernde Häuflein den Ursprungsort des Sonnenaufgangs entdeckt hätte, und die nächste Gipfelkette war sehr weit entfernt – auf der anderen Seite des Leuchtens, vermutete Paul, da diese gegenüberliegenden Hänge davon angestrahlt schimmerten. Orlando und Fredericks waren vorn und konnten daher als erste erkennen, was jenseits des Passes lag. Paul sah, wie sie auf der Höhe stehenblieben und ihre Silhouetten vor dem orangeroten Licht erstarrten.
»Was ist es?« rief er, aber keiner von beiden drehte sich um. Als er sich die letzten paar Meter emporgekämpft hatte und neben ihnen stand, begriff er, warum.
Hinter ihm kam der Rest der Schar angekeucht, die meisten mit derselben Frage auf den Lippen, aber Paul Jonas konnte nur dastehen und schweigend staunen. Einer nach dem anderen erklommen sie die Kuppe, und einer nach dem anderen verstummten auch sie.
In der Mitte des Gipfelkranzes, in einem weiten, flachen Tal, das so kahl war wie eine
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