Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
gehört«, warf Renie ein, als ihr der schreckliche Ton wieder einfiel, der sie geweckt hatte.
»… Und als ich zu ihm gehen wollte, bin ich gestolpert und über den Rand gerollt.« Martine hielt inne, rang um Fassung.
Renie schüttelte den Kopf. Dieses Problem mußte jetzt warten. »Florimel!« rief sie. »Du bist unsere Ärztin. Wir brauchen dich jetzt!«
Wie alles andere in dieser bizarren und ungewöhnlichen Umgebung folgten auch T4bs Verletzung und der unerwartete Einbruch der Nacht nicht den normalen Naturgesetzen.
Der Goggleboy hatte zwar seine Hand verloren, aber soweit sich feststellen ließ, nur ihre virtuelle Entsprechung: T4b spürte noch eine Hand an seinem Arm (obwohl er erklärte, sie fühle sich »seyi-lo max« an, wie »voll unter Strom«), auch wenn niemand anders sie spüren konnte und sie auch für das Environment nicht existent zu sein schien. Nach dem anfänglichen Schock hatte er keine Schmerzen, und die graue Stelle am Handgelenk, wo die Amputation erfolgt war, behielt einen schwachen Glanz. Was immer der Wegfalleffekt gewesen war, bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, daß er auch ein Stück von Martines weitem Kleid so sauber wie mit einem Laserskalpell abgeschnitten hatte.
Obwohl sie noch lange zusammenhockten und die Sache beredeten, bevor sie sich schließlich wieder schlafen legten, war es immer noch dunkel, als der letzte von ihnen aufwachte, und nicht nur in Renie regte sich der Verdacht, daß ihnen nunmehr eine Nacht bevorstand, die mindestens so lange dauerte wie das graue Zwielicht der ersten Tage.
»Und wir haben überhaupt keine Ahnung, wie lange sich dieser nächste Teil hinziehen wird«, bemerkte Florimel. »Es könnte doch sein, daß wir die ersten sechs Monate dieses grauen Lichtes versäumt haben.«
»Ich hab Angst!« Obwohl sie sich bei Martines Rettung überraschend tapfer verhalten hatte, war Emily rasch wieder in die Rolle der Quenglerin zurückgefallen. »Ich will hier weg, und zwar sofort. Ich halt’s hier nicht mehr aus!«
»Ich möchte nicht, daß es so aussieht, als wollte ich mir eine schwierige Lage zunutze machen«, sagte Renie, »aber ich finde, wir sollten nochmal abstimmen. Die Dunkelheit ist schlimm genug – diese Brennholzattrappen werden uns bald ausgehen, und neue zu suchen wird kein Vergnügen sein –, aber wenn sich auch noch Stücke der Landschaft einfach in Wohlgefallen auflösen …«
Martine nickte. »Ich frage mich wirklich, was mit mir passiert wäre, wenn ich in diesen Leerraum hineinspaziert wäre, bevor der arme T4b seine Hand darin verlor. Ob ich wohl noch existieren würde? Ob mein virtueller Körper fort wäre, aber mein Gehirn noch irgendwie online gefangen wäre, als eine Art Gespenst?« Die Vorstellung schien sie tief zu verstören.
»Es bringt nichts, darüber nachzudenken«, sagte Florimel. »Und wir brauchen auch keine Kampfabstimmung durchzuführen, Renie, jedenfalls was mich betrifft. Die Entwicklung hier hat dir recht gegeben. Wir müssen fort.«
»Falls wir fort können«, gab Martine zu bedenken. Sie wirkte sowohl kleiner als auch weniger entrückt, wie verändert von der Auslöschung, der sie um Haaresbreite entgangen war. »Vergeßt nicht, es war nie mehr als eine Idee von Renie, daß wir auch ohne das Instrument der Gralsbruderschaft hier wieder herausfinden könnten.«
Renie starrte die halbtransparenten Figuren des Feuers an. »Wenn der dringende Wunsch rauszukommen es irgendwie leichter macht, dann ist es auf jeden Fall gerade sehr viel leichter geworden.«
»Es hat keinen Zweck.« !Xabbu klang mutloser, als Renie ihn je gehört hatte. Stunden mußten vergangen sein, und er und Martine hatten alles versucht, was ihnen eingefallen war. Zuletzt hatten sie sogar alle gebeten, Händchen haltend einen Kreis um das Feuer zu bilden und sich auf die Vorstellung eines golden leuchtenden Gateways zu konzentrieren – eine »Seance«, hatte Florimel es verächtlich genannt –, aber es hatte alles nichts genützt. »Ihr habt euer Vertrauen in mich gesetzt, Renie, du und die anderen, aber ich habe versagt.«
»Sei nicht albern, !Xabbu «, sagte Martine. »Von Versagen kann keine Rede sein.«
Er berührte sie mit seinen langen Fingern sachte am Arm, eine Geste der Dankbarkeit für ihre freundlichen Worte, dann entfernte er sich ein kleines Stück und hockte sich mit dem Rücken zum Feuer, eine kleine, kummervolle Gestalt.
»Das Problem ist, daß !Xabbu und ich einander nicht erklären können, was wir
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