Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
sie könnte sich einfach in die Bewußtlosigkeit zurücksinken und jemand anders darauf reagieren lassen.
Nachdem ihre Augen aufgeklappt waren, dauerte es noch eine ganze Weile, bevor sie begriff, daß noch etwas nicht stimmte.
»Es ist dunkel!« rief sie. »Wie ist das passiert? Wo ist das Licht hin?«
»Renie! Hier ist ein großes Loch!« antwortete eine Stimme. »Jemand ist reingefallen!«
Sie rollte sich auf die Seite und sah im trüben Schein der Flammen, daß auf der anderen Seite des Feuers, wo vorher fester Boden gewesen war, jetzt ein großes schwarzes Nichts klaffte. »Wer?«
»Martine!« sagte Florimel heiser. »Ich kann sie nicht sehen, aber ich höre sie.«
Auch T4b stieß wilde Schreie aus, in denen Renie keine Worte ausmachen konnte. »Himmel Herrgott«, herrschte sie ihn an, während sie auf den Rand des Loches zukroch, »meinst du, das nützt was?« Obwohl es Nacht war, plötzlich und zum erstenmal, meinte sie, in der Tiefe eine Bewegung zu erkennen, schwache rotschwarze Schatten: die unheimliche Transparenz des Untergrunds ließ den Feuerschein durchschimmern. »Martine?« rief sie. »Kannst du mich hören?«
»Ich bin hier, Renie.« Die Stimme der blinden Frau klang krampfhaft beherrscht. »Ich halte mich fest, aber der Boden ist sehr locker. Ich habe Angst, mich zu bewegen.«
Renie sah Florimel auf der anderen Seite der breiten Grube, aber ihr war klar, daß sie beide nicht ausreichen würden. »Helft uns, !Xabbu , T4b!« sagte Renie. »Sie kann sich nicht mehr lange halten.«
»Meine Hand!« T4b hörte sich benommen an, fast wie unter Drogen.
Renie hatte keine Ahnung, was er meinte, aber !Xabbu stand schon neben ihr. »Laß mich ab«, sagte er. »Ich halte sie fest, und wir ziehen sie heraus.«
Die leicht bestürzt blickende Florimel schüttelte entschieden den Kopf. »Du bist nicht stark genug.«
»Ich bin stark«, erklärte !Xabbu . »Nur mein Körper ist klein.«
Renie wollte keine Zeit mit Wortgeplänkeln vergeuden. Sie war geneigt, !Xabbu zu vertrauen, auch wenn sie die Vorstellung, ihn in das Dunkel abzulassen, erschreckend fand. »Wenn er es sagt, ist es so. Komm herüber und hilf mir, Florimel. T4b, hilfst du nun mit oder nicht?«
Von dem Goggleboy war nur ein seltsames Würgen zu hören. Er kauerte auf der anderen Seite der Grube, eine stachelige Gestalt wie ein großer Kaktus.
Nachdem Renie und Florimel je eines seiner dünnen Beine ergriffen hatten, krabbelte !Xabbu auf den Händen über den Rand und tauchte mit dem Kopf zuerst in das Loch. Als er so tief hing, wie ihre Arme reichten, konnte er Martine, die trotz ihrer ruhigen Entgegnungen deutlich in Not war, immer noch nicht erreichen. Renie und Florimel zogen !Xabbu wieder hoch, dann gingen sie ganz vorsichtig auf die Knie und schoben sich an das Loch heran, so daß sie nebeneinander flach auf dem Boden lagen und ihre Schultern über den Rand hinausragten. »Wir brauchen dich dringend, T4b!« rief Renie. Ihre in die dunkle Tiefe hinabschallende Stimme klang dumpf und hohl. »Wir brauchen jemand, der uns festhält!«
Gleich darauf schloß sich eine Hand um einen ihrer Knöchel, und Renie seufzte erleichtert auf. !Xabbu stieg über sie und Florimel hinweg und hangelte sich an ihren Armen nach unten, als ob diese Lianen wären, bis sie ihn schließlich an den Knöcheln fassen konnten. Selbst sein geringes Gewicht fühlte sich an, als ob es sie über den Rand schleifen könnte, und Renies Stimme war atemlos, als sie fragte: »Kommst du an sie dran?«
»Ich bin nicht …« Er stockte kurz, dann sagte er: »Ich habe sie. Halt fest, Martine. Nimm meine Hand, aber laß mit der anderen noch nicht los.« Den nächsten Worten hörte Renie an, daß er den Kopf nach oben gewandt hatte. »Aber wie wollt ihr beiden uns hochziehen?«
Mit der absonderlichen, seifigen Erde des Environments in Mund und Nase und dermaßen langgestreckten Armen, daß die Sehnen jeden Moment zu reißen drohten, war Renie nicht mehr bloß ängstlich, sondern von nacktem Grauen gepackt. Sie und Florimel konnten sich nirgends abstützen, und mit jeder Sekunde wurde es schwerer, !Xabbus Gewicht zu halten und zugleich damit rechnen zu müssen, daß Martines auch noch dazukam.
»T4b!« schrie sie. »Kannst du uns nach hinten ziehen?« Da keine Antwort kam, bewegte Renie sachte ein Bein. Sie fürchtete, wenn sie zu heftig austrat, könnte er loslassen. »Kannst du uns nach hinten ziehen?«
Ein dünnes Stimmchen antwortete: »Das kann ich nicht. Es ist schon
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