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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sie noch so gering ist. Aber William sterben zu sehen und entdecken zu müssen, daß Quan Li nicht die war, als die sie sich ausgab, waren schreckliche Schläge.
    Interessanterweise hat Renie sich nicht so verändert, wie ich es vermutet hätte. Sie ist von Haus aus impulsiv, und ich hätte erwartet, daß unsere vollständige Unfähigkeit bisher, auch nur eines der Rätsel von Anderland zu lösen, ihre Gereiztheit und Ungeduld steigern würde. Statt dessen scheint sie in sich einen Quell der Stärke gefunden zu haben und hat sie eine verlorene Abstimmung über unser weiteres Vorgehen mit Fassung getragen – noch erstaunlicher deswegen, weil die ausschlaggebende Stimme gegen sie von ihrem Freund !Xabbu kam.
    Irgendwie haben ihre Erfahrungen sie … mir fällt nicht das richtige Wort ein. Weiter gemacht? Tiefer vielleicht. Sie hat sich stets durch Selbstsicherheit, Scharfsinn und Tapferkeit ausgezeichnet, aber auch durch eine gewisse Unbeherrschtheit. Jetzt hat sie sich zwar durchaus nicht völlig gewandelt, aber scheint innerlich ruhiger geworden zu sein. Möglicherweise ist das !Xabbus Einfluß. Es wäre naheliegend zu meinen, daß er als Vertreter einer ganz anderen Lebensweise sie mit seiner simplen, altüberlieferten Weisheit beeinflußt hat, aber damit würde man ihn sehr unterschätzen. Nach dem, wie ich ihn kennengelernt habe, ist seine Weisheit niemals simpel, und obwohl sie manchmal aus der tausend Generationen zurückreichenden Vergangenheit seines Volkes kommt, entspringt ein Großteil auch der ureigenen Lebenserfahrung eines intelligenten jungen Mannes, der am äußersten Rand der sogenannten ›Zivilisation‹ großgeworden ist und der somit reichlich Gelegenheit hatte zu lernen, daß das meiste von dem, was die Welt für wichtig hält, überhaupt nichts mit ihm zu tun hat.
    Ich glaube wirklich, daß !Xabbu bei weitem den schwierigsten Weg von uns allen zu gehen hat, wenn er eine zehntausend Jahre lang bestehende und bewährte Kultur mit einer Welt technologischer Revolutionen versöhnen will, die in ihrem ständigen Wuchern und Fortschreiten einem Krebsgeschwür ähnelt. Unser momentaner Aufenthaltsort könnte ein Sinnbild für das Gefühl sein, das unsere ›Stadtwelt‹, wie !Xabbu sie nennt, ihm einflößt.
    Er hat noch eine andere Wirkung auf Renie, aber ich weiß nicht, ob sie sich darüber ganz im klaren ist. Ich bin mir nicht sicher, ob er sich in sie verliebt hat – eine der Sachen, die ich wegen meiner Blindheit zweifellos nicht mitbekomme, ist die Art, wie Menschen sich anschauen –, aber es ist keine Frage, daß er ihr treu ergeben ist. Genausowenig kann ich mit Sicherheit sagen, ob sie ihn liebt, aber wenn er nicht da ist, ist sie ein anderer Mensch – was ich als ihren neugefundenen inneren Frieden wahrnehme, steht dann auf wackligen Füßen. Wenn ich sie in der Sprache herzlicher, aber unverfänglicher Kameradschaft miteinander reden höre, möchte ich mitunter einen von ihnen – meistens Renie – packen und tüchtig durchschütteln. Aber müssen sie nicht in ihrem eigenen Tempo entdecken, was sie aneinander haben? Auf jeden Fall sind die Unterschiede zwischen ihnen sehr groß, und so hoffe ich vielleicht halbherzig auf eine Entwicklung, die sich als tragischer Irrtum herausstellen könnte. Dennoch gibt es definitiv Augenblicke, in denen ich am liebsten die gute Fee mit dem Zauberstab wäre. Ich glaube, dann würde ich einen magischen Spiegel zaubern, in dem beide sich mit den Augen des anderen sehen könnten.
    Und wo bleibe ich in alledem? Wie üblich spreche ich von anderen, denke an andere, beobachte und beurteile andere, manipuliere sie gelegentlich sogar. Immer stehe ich außerhalb. Was macht eine gute Fee, wenn sie gerade keine Neugeborenen segnet oder eine Kutsche und ein Kleid für Aschenputtel herbeihext? Sitzt sie vielleicht außerhalb des Kreises um ein Lagerfeuer, betrachtet die anderen im Schlaf und murmelt leise vor sich hin?
    Wenn ja, dann bin ich wohl die geborene gute Fee.
    Jemand regt sich, wie ich höre. Es ist T4b, was wohl bedeutet, daß meine Zeit, Wache zu halten, bereits zu Ende ist. Ich werde gleich weitersprechen, hoffe ich …
    Code Delphi. Hier aufhören.«
     
     
    > Obwohl der Schrei eindeutig von einer menschlichen Stimme kam, klang er so extrem, daß Renie ihn im ersten jähen Wachwerden nicht wahrhaben wollte. Während sie sich schlaftrunken aufsetzte, noch ganz im Traumnebel befangen, wünschte sie wider alle Vernunft, sie hätte ihn nicht gehört,

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